Dieser Dokumentarfilm beginnt mit einer Spielszene: Mit geschlossenen Augen betastet und fühlt ein kleiner Junge das raue Gestein einer Felswand, bevor er mit einem Stöckchen Muster auf dem harten Boden zeichnet. Kurz darauf läuft er, förmlich beseelt, einen Abhang hinunter, über sattgrüne Wiesen und über die Brücke eines rauschenden Flusses. Eine malerische, von der Sonne beschienene Gebirgslandschaft dominiert das Bild. Dann sieht man den Jungen in einer dunklen Küche, wo die Mutter am Herd steht und kocht. Er deckt den Tisch, an dem sich später die Familie versammelt. Alles erscheint schön und wohlgeordnet in diesem Natur- und Familienidyll. Das Filmbild mit der zum Essen versammelten Familie wechselt schließlich zu einem Gemälde, das diese Szene zum Sujet hat.
Die enge Verbundenheit mit der umgebenden Landschaft des Bergell-Tals in Graubünden sowie der familiäre Zusammenhalt bilden in der Folge die maßgeblichen Motive in Susanna Fanzuns biographischem Film „Die Giacomettis“ über die berühmte Schweizer Künstlerfamilie. Immer wieder gibt es einen Abgleich der Kunstwerke mit ihren „Vorbildern“ beziehungsweise Inspirationsquellen. Die rätoromanische Filmemacherin, die bereits vor zwanzig Jahren Alberto Giacometti anlässlich seines 100. Geburtstages gewürdigt hat, meldet sich aber auch persönlich mit ihren eigenen Erfahrungen zu Wort. Die von Vater Giovanni Giacometti illustrierte Engadiner Märchensammlung „Parevlas Engiadinaisas“ gehört dabei ebenso zu ihren prägenden Eindrücken wie das Licht und die Luft derselben Berglandschaft.
Für ihre biographische Spurensuche in Archiven und Museen hat sich Susanna Fanzun aber auch mit Zeitzeugen, Weggefährten und Freunden der Giacomettis unterhalten. Für die einzelnen Portraits der durchweg künstlerisch begabten Familienmitglieder und ihr Verhältnis zueinander zitiert sie aber auch aus Briefen, zeigt Fotos, Gemälde, Skulpturen und rares historisches Filmmaterial. Neben dem Vater Giovanni, der seiner künstlerischen Berufung folgt und als Impressionist reüssiert, gilt Fanzuns Interesse vor allem dem erstgeborenen Sohn Alberto Giacometti (1901-1966), der schon als Kind „anders als die anderen“ ist. Inspiriert von den Kubisten und den Surrealisten um André Breton reift er in Paris mit seinen filigranen, langgestreckten Skulpturen zu einem der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Er habe Werke geschaffen, so Jean Genet, „die Tote beglücken“.
Unterstützt wird Alberto in seinem langjährigen Atelier in der Rue Hippolyte Maindron von seinem Bruder Diego, der Möbel und Dekor entwirft und gestaltet. In Streiflichtern wird aber auch das Leben der früh verstorbenen Schwester Ottilia und des Architekten Bruno Giacometti beleuchtet. Im geheimen Zentrum der „Giacomettis“ steht allerdings die Mutter Annetta Giacometti-Stampa, die als ruhender Pol die Familie zusammenhält und die Schritte ihrer Mitglieder bestimmt und sorgsam lenkt.