Ein ungestilltes Verlangen nach Liebe, Zuneigung und Sex lastet auf der jungen Eileen Dunlop (Thomasin McKenzie). Heimlich beobachtet sie Liebespaare und befriedigt sich selbst. In der Jugendstrafanstalt Moorhead, wo sie als Mädchen für alles arbeitet, fantasiert die 24-Jährige vom Sex mit einem jungen Gefängniswärter. Diese Visionen und Tagträume, zu denen in der Folge auch Mord- und Selbstmordfantasien gehören, fließen übergangslos in die Handlung des realen Geschehens ein. Seit dem Tod der Mutter lebt Eileen mit ihrem trunksüchtigen Vater, einem arbeitslosen Ex-Cop, zusammen. Dieser lässt kein gutes Haar an seiner Tochter, demütigt sie immer wieder und prophezeit ihr gar, erst als Mörderin den Schritt in ein eigenes Leben zu finden. „Du bist einfach nur da“, sagt er mitleidlos, um Eileen die Belanglosigkeit ihrer Existenz vor Augen zu führen.
In William Oldroyds Film „Eileen“, einer Adaption von Ottessa Moshfeghs gleichnamigem Roman, sind die Gefängnisse allgegenwärtig. Die nasse Kälte eines farblosen Winters in einem Provinzkaff von Massachusetts sowie ein ebenso spießiges wie autoritäres zwischenmenschliches Klima im Neuengland der 1950er Jahre bestimmen Eileens Gefühl einer ausweglosen Enge und einer deprimierenden Perspektivlosigkeit. Das ändert sich, als die neue Gefängnispsychologin auf der Szene erscheint. Rebecca Saint John (Anne Hathaway) bringt Farben in die graue Eintönigkeit. Sie fährt einen roten Cadillac, ist blond wie Marilyn Monroe, trägt elegante Kostüme und bewegt sich wie ein Filmstar. Der Kontrast zur düsteren Gefängniswelt könnte nicht größer sein. Rebecca ist eine Erscheinung und ein Fremdkörper in einer lebensfeindlichen Umgebung: feminin, selbstbewusst, schlagfertig und unkonventionell. Eileen ist von ihr augenblicklich fasziniert und verliebt sich in sie.
Rebecca vermittelt der Jüngeren ein Gefühl von Freiheit und Geborgenheit. Auch als promovierte Psychologin arbeitet sie gegen autoritäre Engstirnigkeit und den Muff überkommener Traditionen. Einmal sagt sie zu Eileen, man müsse die Menschen dazu befreien, ihre eigene Wahrheit anzunehmen. Bis hierher erzählt William Oldroyd sorgsam und genau eine abgründige Coming-of-Age-Geschichte über eine junge Frau auf ihrem Weg in die Selbständigkeit. Rebecca fungiert gewissermaßen als Katalysator für diesen Aufbruch. Die etwas abrupte und auch unglaubwürdige Wendung zum Psychothriller gegen Ende des Films hätte es dafür nicht gebraucht. Zwar spitzt dieser unvermittelte Plot-Twist die dunklen Aspekte einer tendenziell lebensfeindlichen und übergriffigen Umwelt zu und führt Eileens vorherige Gewaltfantasien zu einem schlüssigen und befreienden Ende; er nimmt den Figuren – besonders Rebeccca – aber auch ihre Glaubwürdigkeit und Aura.