Einen Wettbewerb der besonderen Art lernen die Zuschauer in Radek Wegrzyns Dokumentarfilm „Miss Holocaust Survivor“ kennen. Die hochbetagten Mitbewohnerinnen einer Wohnanlage für Holocaust-Überlebende – sie sind zwischen 77 und 95 Jahre alt – nehmen in Haifa an diesem außergewöhnlichen Wettbewerb teil. Schöne Kleider, Schmuck, Makeup: Alles sieht aus wie bei einem traditionellen Schönheitswettbewerb. Hier aber stehen die Persönlichkeiten im Mittelpunkt. Sie alle eint, dass sie der letzten Generation der Holocaustüberlebenden angehören. Im Film kommen die Teilnehmerinnen ausgiebig zu Wort, berichten vom Schrecken der Kindheit, wie sie den Nazis entkommen und sich nach dem Zweiten Weltkrieg Existenzen aufbauen konnten.
Rita Kasimow-Brown, eine der Protagonistinnen, berichtet, wie sie monatelang mit der Familie in Waldhöhlen hausten, bevor sie fliehen konnte. Szenisch werden diese Momente nacherzählt. Viele verloren ihre Angehörigen, kamen als Waisen in die USA und nach Israel. Das Leben, sagt sie, hätte sie einmal in einer Filmszene gut zusammengefasst erlebet, es sei im Kino bei Wim Wenders‘ „Himmel über Berlin“ gewesen, in der die Engel die Welt betrachten. „In dieser Welt gibt es Schmerz, das habe ich nicht vergessen. Engel haben keine Schmerzen. Ich verstehe nicht, warum Menschen leiden müssen.“
Auch Tova Ringer ist der Nazi-Hölle entkommen. Nun kämpft sie mit dem Alter, wie sie berichtet. Ihre Teilnahme an dem Wettbewerb sieht sie als Ringen mit sich selbst, mit dem Leben und seinem Ende.
Der turnusmäßig stattfindende Wettbewerb steht durchaus in der Kritik – warum denn nur Holocaust-Opfer daran teilnehmen könnten, ob hier Menschen nicht ausgestellt werden. Auch die Teilnehmerinnen hadern immer wieder mit ihrer Rolle in einer Inszenierung, die sie zu vereinnahmen drohe. Am Ende jedoch stehen sie stolz auf der Bühne vor Hunderten Zuschauern und der Weltpresse. Und nicht zuletzt hier wird klar, dass dieser Wettkampf eine Möglichkeit bietet, Geschichte zu transportieren. In einem Film, der Mut und Stärke auf die Leinwand bringt.
Diese Kritik erschien zuerst am 08.11.2023 auf: links-bewegt.de