Ohne Hinführung oder erläuternde Exposition versetzt uns Estibaliz Urresola Solaguren in ihrem preisgekrönten Spielfilmdebüt „20.000 Arten von Bienen“ mitten hinein in die Turbulenzen und Streitereien einer baskischen Familie und ihres spannungsreichen Beziehungsgefüges. Das macht zunächst die Orientierung schwer und verhindert eine allzu schnelle Identifizierung und Festlegung der Figuren. Die Benennung durch Namen und die Zuschreibung einer Geschlechtsidentität stehen folglich auch im fluiden Zentrum des Films, der sich auf verschiedenen Ebenen mit Fragen der kulturellen, überlieferten und politischen Zugehörigkeit beschäftigt und so sein Thema nach verschiedenen Seiten ausweitet. Dabei verzichtet die spanische, 1984 in Bilbao geborene Regisseurin auf eine konventionelle Spannungsdramaturgie, um stattdessen mit einem sozialrealistischen Stil den schwierigen Alltag einer Familie zu beobachten, die im französischsprachigen Teil des Baskenlandes lebt, aber zu Beginn für einen mehrtägigen Besuch in die spanische Grenzregion reist.
Ganz nah ist die Kamera immer wieder beim 8-jährigen Aitor (Sofía Otero), der von allen Cocó gerufen wird, aber seinen Spitznamen nicht mag und seinen Geburtsnamen ablehnt. Der kindliche Held mit den mandelförmigen Augen, den langen Haaren und den bunt lackierten Fingernägeln fühlt sich nämlich auch im Spiel mehr zu Mädchen hingezogen, was sein familiäres Umfeld zunehmend irritiert. Unsicher und oft wütend, schämt er sich für seine Bedürfnisse und reagiert mit Abwehr und Angst, wenn er mit seinem „Problem“ konfrontiert wird. Aitor alias Cocó, der irgendwann den von der gleichnamigen Heiligen übernommenen Namen Lucía für sich entdeckt, fragt: „Warum bin ich so?“ Und gegenüber seiner Mutter Ane (Patricia López Arnaiz) bekundet er eine grundsätzliche Verunsicherung in Bezug auf seine Identität: „Wieso weißt du, wer du bist und ich nicht?“ Während im baskischen Heimatort der Großmutter mit unaufdringlicher Symbolik das Johannisfeuer entzündet, eine Taufe vorbereitet und eine Skulptur des Täufers gesucht wird, spitzt sich die Identitätskrise des Jungen zu.
Eingebunden ist diese kindliche Selbstsuche in ein verzweigtes Geflecht von Traditionen, religiösen Prägungen, familiären Konflikten zwischen Müttern und ihren Kindern sowie dem Streben einer Frau nach Unabhängigkeit und künstlerischer Selbstbestimmung. Die mehrfache Mutter Ane, die immer angespannt und gestresst wirkt, arbeitet nämlich als Bildhauerin, die sich in diesem Metier aber nur schwer vom Erbe ihres übermächtigen Vaters lösen kann. Im Formen von Skulpturen korrespondiert ihre Suche nach einer künstlerischen Identität also auch mit der Selbstfindung ihres Kindes. Als metaphorische Klammer zwischen individuellem Streben und familiärer Gemeinschaft fungieren wiederum die titelgebenden Bienen, die das Verschiedene zur Einheit integrieren. In Urresola Solagurens Film und in der mehrsprachigen Wirklichkeit der Basken ist mit diesen heiligen Tieren eine reichhaltige Tradition verbunden, die schließlich nicht nur zur Vorstellung einer Transzendenz führt, sondern auch Aitor im Übergang zu Lucía eine innere Gewissheit vermittelt. Schließlich, so wird einmal gesagt, reiche der Glaube weiter, als das Auge sehen könne.