Etienne hat fertig: Mit der Tochter liegt er im Streit, mit der Ex-Frau sowieso. Gute Rollen bekommt der Schauspieler schon länger nicht mehr angeboten, dafür aber jetzt dann doch was ganz Besonderes: Er soll die Theater-AG im Knast übernehmen. Das passt: So wie er auf das Ende der Arbeitslosigkeit wartet, sehnen sich die Strafgefangenen nach dem Ende ihrer Haft. Und die Gefängnisdirektorin Ariane wird sich im Lauf der Geschichte manchmal nach dem Ende der Theater-AG umsehen, die ihr viel Scherereien einbringt.
Welches Stück würde sich hier besser anbieten als Samuel Becketts „Warten auf Godot“, ein Stück, das schon im Titel verheißt, was alle Beteiligten in den Knochen haben? „Ein Triumph“ müsste her, ein erfolgreiches Programm, mit dem die Knackis sehen, dass sie doch zu was gut sind, denkt Anstalts-Chefin Ariane. Das denkt auch der Regisseur, das denken auch die Diebe, Räuber und Totschläger, aus denen das Ensemble besteht. Und so beginnen die Proben.
Regisseur Emmanuel Courcol dreht in seinem Film eine reale Geschichte nach. 1985 inszenierte der schwedische Schauspieler und Regisseur Jan Jönson mit den Insassen des Hochsicherheitsgefängnisses Kumla das Stück. Am Tag nach der öffentlichen Premiere in Göteborg verschwanden fünf seiner Schauspieler spurlos. Das Stück konnte er im Alleingang aufführen. Mit Beckett soll ihn dann eine Freundschaft verbunden haben – Jönson inszenierte später „Warten auf Godot“ erneut in den USA – passend in der Strafanstalt von San Quentin in Kalifornien.
Courcol verlagert die Ereignisse nach Frankreich, mit lockerer Hand inszeniert er die Erlebnisse der Theatertruppe, angereichert mit Blicken auf die sozialen und juristischen Eckdaten des französischen Staatswesens. Einmal mehr erzählt das französische Kino mit reichlich Humor und Herz von Not, Arbeitsmarkt und sozialer Spaltung.
Becketts bekanntestes Stück im Rahmen eines Sozialisierungsprogramms? Es ist die Paradedisziplin für jeden, der schon mal ein Gefängnis von innen gesehen hat: An einer Landstraße hängen die Protagonisten Estragon und Wladimir rum, um auf einen Unbekannten namens Godot zu warten. Den Grund der Verabredung erinnern sie nicht; sie wissen auch nicht, ob und wann Godot kommen wird. Ja, nicht mal, wer oder was Godot ist. Ein Klassiker der Weltliteratur, was Wunder.
Aufs Warten verstehen sich die vermeintlich und echten schweren Jungs Moussa, Kamel, Patrick, Jordan und Alex. Energie und Intensität ihres Spiels übertragen sich schnell aufs Kinopublikum in diesem Stück-im Stück-Film. Der Schluss – so vorhersehbar wie dennoch überraschend. Etienne wird jedenfalls die Rolle seines Lebens spielen. Courcol: „Ich möchte keine verzweifelten Filme machen, auch wenn sie von einer düsteren Realität handeln.“ Das ist ihm prima gelungen.
Diese Kritik erschien zuerst am 15.12.2022 auf: links-bewegt.de