Eine Hülle aus Stärke und Ansehen umgibt die Pariser Familie Farel mit Wohlstand und Sicherheit. Schon die Nennung des Namens wirkt wie ein Signal für selbstverständliche Privilegien. In einer Parallelmontage werden ihre Mitglieder zu Beginn von Yvan Attals Film „Menschliche Dinge“ („Les choses humaines“), einer Adaption des gleichnamigen Romans von Karine Tuil, vorgestellt und charakterisiert. Wenn der 22-jährige, ebenso gutaussehende wie intelligente Alexandre (Ben Attal), der an der kalifornischen Elite-Universität Stanford Bau- und Umwelttechnik studiert, am Flughafen eintrifft, wird er von einem Taxifahrer in Empfang genommen. In der äußerst geräumigen Wohnung seines Vaters Jean (Pierre Arditi), der als Fernsehjournalist arbeitet und zum Großoffizier der Ehrenlegion ernannt werden soll, führt eine Angestellte den Haushalt. Derweil ist Alexandres Mutter Claire (Charlotte Gainsbourg), eine bekannte Essayistin, in einem TV-Streitgespräch über Vergewaltigungsopfer zu sehen.
Elegante, in bläuliches Licht getauchte Cinemascope-Bilder von großzügigen, transparenten Räumen und glatten, spiegelnden Flächen kennzeichnen den äußeren Schein dieses großbürgerlichen Milieus und seiner sozialen Macht. Diese zeigt von Anfang an Risse: Die Eltern leben getrennt, haben wenig Zeit und stehen in ihren Berufen unter Druck; während sich Jean auf eine Affäre mit einer jungen Praktikantin einlässt, lebt Claire mittlerweile mit ihrem neuen Partner, dem Literaturprofessor Adam Wizman (Matthieu Kassovitz), zusammen, der aus einer orthodoxen jüdischen Familie stammt. Als sich dessen 17-jährige Tochter Mila (Suzanne Jouannet) und Alexandre an einem Familienabend kennenlernen und kurz darauf gemeinsam eine Party besuchen, kommt es zu einem verhängnisvollen Zwischenfall. Unter Alkohol- und Drogeneinfluss wird Mila von Alexandre verführt und vergewaltigt. So jedenfalls lautet die Anklage, die der mutmaßliche Täter vehement zurückweist, bis es schließlich zu einem öffentlichkeitswirksamen Prozess kommt.
Bevor zweieinhalb Jahre später die Gerichtsverhandlung stattfindet, in der sehr intensiv und detailliert die verschiedenen Positionen dargestellt werden, wechselt der Film in mehreren Kapiteln die Perspektiven. Dabei beleuchtet er auch das Herkunftsmilieu des Opfers, eine damit verbunden divergierende Sexualmoral, vor allem aber die Schwierigkeit, über eine Tat zu sprechen, die von Tabus und Scham umstellt ist. Während sich die Familien entzweien und an Reputation einbüßen, entfaltet Yvan Attal ein höchst vielschichtiges Gerichtsdrama klassischen Zuschnitts. In langen Plansequenzen wechseln sich Standpunkte und leidenschaftliche Plädoyers ab auf der Suche nach einer Wahrheit, die nicht eindeutig zu haben ist. Auch die auf 16mm gedrehten quasi-dokumentarischen Rückblenden auf den fraglichen Abend lassen bewusst eine Leerstelle offen.
Allerdings lässt der spannende und sehenswerte Film, dessen literarische Vorlage auf dem sogenannten „Stanford-Fall“ basiert, keinen Zweifel daran, dass eine toxische Mischung aus männlichem Überlegenheitsgefühl und sozialer Macht das in Frage stehende Verbrechen sehr wahrscheinlich machen; auch wenn es vor Gericht einmal heißt, es handle sich um „zwei Wahrnehmungen desselben Ereignisses“. Die Metoo-Debatte findet an diesem Beispiel jedenfalls viele Gründe für ihre weiterhin aktuelle Berechtigung.