Die iranische Filmemacherin Mitra Farahani imaginiert einen Dialog zwischen zwei alten, bedeutenden Filmkünstlern, die sich nicht kennen, aber aufgrund ihres hohen Alters eine gemeinsame Vergangenheit teilen. „Ich bin eine Kraft der Vergangenheit“, zitiert sie in ihrem dokumentarischen Filmessay „À vendredi, Robinson“ („Bis Freitag, Robinson“) deshalb Pier Paolo Pasolini. Später erklärt sie aus dem Off, die Prophezeiung eines indischen Wahrsagers auf einer Straße in Paris habe das Projekt angestoßen: „Sie werden Robinson treffen, er wird ihnen seine Worte schenken und es wird an einem Freitag passieren.“ Bei den beiden realen Inselbewohnern handelt es sich um den französisch-schweizer Filmemacher Jean-Luc Godard (geb. 1930) und um den iranischen Schriftsteller und Filmregisseur Ebrahim Golestan (geb. 1922). Vermittelt durch Farahani beginnen die beiden im Herbst 2014 eine Korrespondenz, die vielleicht ein Dialog ist. Diese findet via E-Mail statt. Immer freitags schickt JLG, der sich in der Folge mit Daniel Defoes Figur Freitag identifiziert eine Nachricht an den Robinson EG.
In einer Parallelmontage wechseln sich die beiden Insel-Schauplätze und ihre Bewohner ab, wobei Ähnlichkeiten und Unterschiede sichtbar werden. Während Godard seine mit Bildern, Filmen und Texten angereicherten Botschaften aus seinem kleinen, verwinkelten Haus in Rolle am Genfer See abschickt, antwortet ihm Golestan aus Wykehurst Palace, einem großen neogotischen Herrenhaus in Südengland, wo er seit 38 Jahren lebt. Räume, Flure, Treppen und Schatten werden zu visuellen Bindegliedern des kammerspielartigen Settings, während vor allem die Nachrichten Godards dem Empfänger immer wieder neue Rätsel aufgeben. Offensichtlich beeinflusst der Kino-Erneuerer mit seinen listigen, hintersinnigen Mails, die sich gewissermaßen zu einem (weiteren) Selbstportrait verdichten, auch die Ästhetik von Farahanis Film; was sich vor allem an der Montage von Bild und Ton, Musik und Zwischentiteln ablesen lässt.
Indem Godard den Sprachphilosophen Fritz Mauthner zitiert, beschreibt er sich von Anfang an als lebensmüde und einsam, als krank und in der Angst gefangen. Dabei beschäftigt ihn immer weiter die Differenz zwischen Sprache und Denken, die sich auch auf die (Un)möglichkeit bezieht, mit Wörtern und Bildern zu einer Darstellung der Wirklichkeit, zu einer Bedeutung oder einem Sinn zu kommen. Bei Godard geht diese sprach- und erkenntnistheoretische Skepsis aber nicht nur einher mit einem Zweifel an der Kunst und an den Möglichkeiten des Films („Das Kino stellt keine Fragen und gibt keine Antworten.“), sondern auch mit einer existentiellen Traurigkeit im Angesicht von Krankheit und Tod. Wiederholt zitiert er Elias Canetti: „Man ist nie traurig genug, um die Welt besser zu machen.“ Vor allem kommt er aber immer wieder auf den Schluss von Dashiell Hammetts letztem Roman „Der dünne Mann“ zurück, wonach alles „ziemlich unbefriedigend“ sei. Im Rückblick auf Godards selbstgewählten Tod im September dieses Jahres erscheinen diese Reflexionen wie eine Prophezeiung und zugleich wie ein Vermächtnis eines romantischen, nach dem Absoluten strebenden Sinnsuchers.
Auf den hochbetagten, aber vitalen Ebrahim Golestan, der sich mit seinem unerschütterlichen Optimismus fest und ganz selbstverständlich eingebunden fühlt in die geschichtlichen und kulturellen Traditionen, wirken Godards assoziativen, aus Fragmenten zusammengesetzten Botschaften zunächst befremdlich. Immer wieder rätselt er über Sinn und Bedeutung dieses Spiels, dessen Möglichkeiten vom Absender doch gerade fortgesetzt befragt und zugleich in Zweifel gezogen und dadurch gewissermaßen auch potenziert werden. Das postmoderne Bewusstsein Godards mit seiner Verzweiflung über eine zersplitterte, nicht fassbare Wirklichkeit trifft hier auf das Ganzheitsdenken eines Künstlers, der weder den Glauben an einen geschichtlichen Fortschritt noch die Hoffnung auf das Gute im Menschen aufzugeben bereit ist. Selbst in der Verwüstung findet Golestan, der den Freitod ablehnt, den Keim für ein neues, besseres Leben. Und auch der Tod der Schönheit, von Mitra Farahani mit traurigem Blick auf Godards angegriffene Gesundheit ins Spiel gebracht, schreckt ihn nicht: Die Quelle der Schönheit mag versiegen, doch ihr Gehalt werde weitergegeben und sich in anderen Formen zeigen.
Der Film ist vom 3.10. bis 8.12.2022 in der Arte-Mediathek zu sehen.