Stress, Stress, Stress – das ist es, was heterosexuelle Männer im Kopf haben, wenn es um Sexualität geht. Zumindest wenn man den anonym bleibenden Interviewpartnern des Regisseurs Jonas Rothlaender glauben darf, die er für seinen Film „Das starke Geschlecht – Männer reden über Sex“ vor die Kamera gesetzt hat. Jeweils zu Beginn eines Gesprächs übergibt er ihnen einen Text, mit dem sie sich auseinandersetzen sollen, ihre Meinung äußern. Anschließend können die Männer, geschätzt Ende 20 bis Ende 30 Jahre alt, mit ihren Vorstellungen loslegen. Was macht die ideale Partnerin aus? Wie muss sie handeln? Welche Erwartungen stellst du an dich selbst? Und nicht zuletzt: Wie entsteht Gewalt im sexuellen Kontext, wie stehst du dazu?
Viele der Antworten handeln von männlicher Dominanz. Ja, die Frauen erwarten von uns Männern, dass wir bestimmend sind, nicht lange rumeiern – Aktivität ist gefragt. Was machen derlei Konventionen mit der eigenen Sexualität und inwieweit formt die Fremdwahrnehmung den Umgang mit Schwächen und Emotionen?
Vor allem machen sie Druck. Wenn ich den Regeln, die es in meiner Vorstellung gibt, nicht Folge leiste, bin ich ein Versager – das bekunden Rothlaenders Interviewpartner nicht nur einmal. Besonders verrückt wird es, wenn es darum geht, wie die Partnerin zu sein hat. An Offenheit mangelt es hier nicht: Von Verständnis bis zu einem bestimmten Aussehen bis hin zur Form der Geschlechtsorgane ist alles dabei. Na, und wenn sich herausstellt, dass nicht alles perfekt ist? Auch dann fühlen sich einige der Männer als Loser, denn sie geben sich selbst dafür die Schuld, nicht die ideale Frau gefunden zu haben.
Als Zuschauer fühlt man mit den Protagonisten mit – und mit den nicht anwesenden Protagonistinnen auch. Die Szenen in Beziehungen, die sich aus den angesprochenen Haltungen ergeben, kann man sich sehr lebhaft vorstellen. Und das sind alles die Ottonormalverbraucher. Denken alle Männer so? Das müsste man eben rausfinden, sagt der Regisseur. Das Thema „männliche Identität“ beschäftige ihn schon lange, „da ich selber einfach schon sehr lange mit meiner gehadert habe“. Ausgangspunkt sei gewesen, dass fast jede Frau, die er kennt, sexuelle Belästigung oder gar sexualisierte Gewalt erlebt hat. Dabei seien ihm die „gesellschaftlichen Regeln“, die ganz schnell die eigenen sind, sehr klar gewesen. Rothlaender: „Passt du nicht in diese Schablone, dann bist du kein Mann.“ Na, dann eben nicht, möchte man ihm zurufen! Aus dieser Haltung diesen Dokumentarfilm gemacht zu haben, sich selbst der Technik Film zu bedienen, um sich seiner Einstellungen bewusst zu werden, verdient großes Lob, und den Sprechern sei Dank, dass sie offen reden, auch wenn an manchen Stellen gezielteres und weiterführendes Nachfragen möglich gewesen wäre, denn eine Reihe Themen der härteren Sorte kommen recht kurz: etwa Prostitution und Krankheit. Und Kindererziehung! Diversität sucht man ebenfalls eher vergebens.
Unmöglich aber ist es, sich diesen Film anzuschauen und nicht selbst ins Nachdenken zu kommen. Und das ist top! Rothlaender: „Mein Hauptziel ist, einen Dialog herzustellen und Leute zu einer Diskussion anzuregen. Das Interessante ist, dass die Zuschauenden in die unterschiedlichsten Gefühlslagen eintauchen.“
Diese Kritik erschien zuerst am 15.06.2022 auf: links-bewegt.de