60 Jahre nach der Verfilmung von „Schachnovelle“ – damals mit Curd Jürgens und Hansjörg Felmy – liefert Regisseur Philipp Stölzl eine weitere Filmversion des berühmten Buches von Stefan Zweig. Die vielbeschäftigten Mimen Oliver Masucci und Albrecht Schuch brillieren in den Rollen des Anwalts Josef Bartok und des Gestapo-Leiters Franz-Josef Böhm. Bartok ist als Vermögensverwalter für den Adel in Wien tätig, als 1938 der „Anschluss“ Österreichs an Deutschland gefeiert wird. Die Nazis sind überall in Wien, aber gerade die Upper Class mag nicht so recht an gravierende Veränderungen in ihrem Leben glauben. So lange in Wien getanzt wird, so der Tenor, wird die Welt nicht untergehen.
Bartok folgt dem nicht ganz, er versucht, mit seiner Frau zu fliehen, doch er wird verhaftet, nicht jedoch, ohne brisante Unterlagen vernichtet zu haben. Nun soll er die Nummernkonten seiner Klienten preisgeben. Die Gestapo interniert ihn in einem leeren Hotelzimmer. Verhörleiter Böhm stellt ihm die Emigration in die USA in Aussicht, sobald er die Informationen preisgibt. Der Notar aber bleibt trotz Folter und einschüchternder Verhöre standhaft.
Um – nicht nur mental – zu überleben, muss er seinen Kopf beschäftigen. Als er zufällig ein Schachbuch findet, knetet er sich aus Brotresten Schachfiguren, die er im Badezimmer versteckt. Als Böhm Buch und Figuren in die Hände fallen, spielt Bartok die Partien in seinem Kopf weiter und driftet in eine andere Realität ab.
Durchbrochen wird die Erzählung durch die Ereignisse auf der vermeintlichen wie realen Überfahrt in die USA. Dort tritt Bartok gegen einen mitreisenden Schachweltmeister an. Durch die Zeit der Internierung bestens trainiert, leistet er dem Großmeister locker Paroli.
Der Film, der sich nicht immer zwingend an Zweigs Vorlage hält, changiert zwischen Ein-Personen-Kammerspiel im Hotelzimmer und wilden Szenen an Bord des Schiffes. Was real und irreal ist, das wissen die Zuschauer alsbald nicht mehr. Insofern folgt die Erzählung der psychischen Verfasstheit der Hauptfigur. Überaus echt bleibt aber die Bedrohung, die Bartok durch die Nazis erfährt, Zeichen der Deprivation lassen sich im Spiel Masuccis schnell erkennen.
Die kafkaeske Situation des Gefängnisses im Nobelhotel habe er darstellen wollen, sagt Stölzl, den Menschen auf dem Weg in die geistige Verwirrung, wenn er unter unmenschlichem Druck steht. Er wolle davon erzählen, wie dünn die Schicht der Zivilisation sei und wie unmittelbar darunter die Barbarei liege. Ein zeitloser politischer Film.
Diese Kritik erschien zuerst am 22.09.2021 auf: links-bewegt.de