„He’s got the power“, ein Song der Exciters, singt die 17-jährige Autumn (Sidney Flanigan) zur Gitarrenbegleitung bei einem Schulkonzert: „The power of love over me.“ „Schlampe!“, ruft einer ihrer Mitschüler in die Stille einer kurzen Liedpause. Die junge Frau wirkt schweigsam, in sich gekehrt und verschlossen, als lebe sie in einer Distanz zu der sie umgebenden Welt einer Kleinstadt in Pennsylvania. Autumn ist mit sich selbst beschäftigt, was ihr gleichgültiger Vater wenig einfühlsam als schlechte Laune interpretiert. Sie ist okkupiert von Gedanken, die sich auf ihren Bauch richten, wie ein Spiegelblick zeigt. Ein Besuch bei der örtlichen Frauenärztin bestätig ihre Befürchtung: Autumn ist angeblich in der 10. Woche schwanger, tatsächlich aber ist es die 18. Woche. Die Ärztin ermutigt sie, das Kind auszutragen, doch das schüchterne Mädchen fühlt sich noch nicht reif genug für die Mutterschaft.
Eliza Hittman stellt in ihrem preisgekrönten Film „Niemals Selten Manchmal Immer“ diese Entscheidung nicht zur Diskussion. Zwar streift sie in der Figur der Ärztin und in einer Szene mit Abtreibungsgegnern ein konservatives gesellschaftliches Umfeld, doch im Kern geht es um eine innere Isolation und den verzweifelten Versuch, diese zu durchbrechen. Autumns um sich selbst kreisende Eltern sind dabei eher schlechte Ratgeber. Allein ihre etwa gleichaltrige Cousine und beste Freundin Skylar (Talia Ryder), mit der sie in einem Supermarkt als Kassiererin jobbt, genießt Autumns Vertrauen. Zusammen mit ihr begibt sie sich heimlich im Bus auf den Weg nach New York, um in einer Abtreibungsklinik die Schwangerschaft abzubrechen. In der winterlichen Großstadt erleben die beiden Ausreißerinnen eine Odyssee aus Anonymität und Kälte.
Die amerikanische Independent-Regisseurin und ihre französische Kamerafrau Hélène Louvart folgen den Bewegungen ihrer Protagonistinnen durch den öffentlichen Raum mit dokumentarischem Gestus. U-Bahn-Fahrten, Wartezonen auf Bahnhöfen, Einkaufspassagen, Imbiss-Restaurants und institutionelle Abläufe vermitteln ein trostloses Gefühl des Ausgesetzseins und hilfloser Abhängigkeit. Wiederholt werden die beiden Mädchen, die keine Bleibe haben, sexuell belästigt. Eliza Hittman registriert das ebenso subtil wie dezent. Immer wieder schafft sie erzählerische Ellipsen, um sich mit großer Einfühlung ganz auf das wortlose innere Erleben ihrer Heldin zu konzentrieren. Dieses kulminiert auf bewegende Weise schließlich in einem Beratungsgespräch, das persönliche Erschütterungen in Ahnungen erfahrbar macht. Etwas öffnet sich in Autumn, ihre Isolation im Rhythmus der Anonymität wird durchbrochen. Doch das Fassliche oder Greifbare, der Moment eines Aufbruchs oder einer leisen Hoffnung liegt in Hittmans Film jenseits der Sprache: Im intimen Blick auf den Körper, in verschworenen, zärtlichen Gesten der Freundschaft und einem flüchtigen Aufschauen in die Weite des Himmels.