Niemand mag sie. Keiner will sie haben. Spitzenpolitiker haben in Deutschland einfach keine Lobby. „Die Getriebenen“, frei nach einem Sachbuch von „Welt“-Mann Robin Alexander, will das nun ändern und blickt im Spätsommer 2015, der sich, wie man dieser Tage allerorten hört, nicht wiederholen dürfe, „in die Hinterzimmer der Mächtigen, die vor allem eins sind: Getriebene, die zwischen politischer Verantwortung und dem atemlosen Tempo der sich überschlagenden Ereignisse in einer Ausnahmesituation Entscheidungen treffen“ (Das Erste). Nicht die Vertriebenen, sondern die Mittäter sind hier die Leidtragenden. Denn wer, wenn nicht Drehbuchautor Florian Oeller, weiß, „was das alles mit den Menschen macht, die politische Verantwortung tragen“.
So gilt sein Mitgefühl nicht verzweifelt Asylsuchenden, die hier nur als anonyme Masse auftauchen, sondern dem nachts im Büro vereinsamenden Peter Altmaier, dem sich schwer vergrippt zum Dienst für Deutschland schleppenden Thomas de Maizière und all ihren Kollegen, die das Bild des ertrunkenen Kleinkinds Alan Kurdi um Imagepunkte bringt. Imogen Kogges Respekt ist bei ihren angestrengten Versuchen, so wie Angela Merkel auszusehen, „gewachsen vor denen …, die tagtäglich … um ernsthafte Entscheidungen ringen, sich kompromissbereit zeigen müssen und doch ihren Idealismus behalten“.
Die prominenten Rollen hat man nach vermeintlicher Ähnlichkeit besetzt beziehungsweise gewaltsam darauf getrimmt, was, etwa wenn Altmaier (Tristan Seith) vor Wut zu platzen droht, zu unfreiwilligen „Spitting Image“-Momenten führt. Nur Horst Seehofer fällt heraus, den Josef Bierbichler als Grübelgreis auf dem Abstellgleis veredelt.
Das nicht zuletzt „würdigende Porträt der Kanzlerin“ (RBB-Filmchefin Martina Zöllner) zeigt, was man sich nicht auszumalen wagte: Angela mit Mitarbeiterin auf dem Damenklo oder mit dem Gatten auf dem Sofa, der ihr ins Gewissen redet. Merke: Hinter jeder starken Frau steht ein Mann, der die Strippen zieht.
Die TV-Biedermänner wollen ihrem Primetime-Event durch Split Screens und eingeblendete Handychats krampfhaft etwas von den hippen US-Serien verpassen und verblüffen durch lebensechte Sprüche (Sigmar Gabriel: „Wahltag ist Zahltag“) und frische Dialoge: „Was wollen Sie, Alexis? Es geht darum, ob das Europa, das wir kennen, noch weiter besteht.“
Thrillermusikakkorde, die nichtexistierende Spannung vorgaukeln, künden vom dräuenden Unheil in Gestalt der „wilden Horden“ und Viktor Orbáns („eine Schande für Europa“), der sie einfach in Züge gen Germania setzt und so die Deutschen austrickst.
Regisseur Stephan Wagner sonnt sich in öffentlich-rechtslastiger Objektivität. Der Spielfilm ermögliche es, „abseits der täglichen Scheibchen der Ereignisse, die es in die Nachrichten schaffen und gern auch interessengebeugt“ – linksversifft? – „vermittelt werden, den großen Handlungsbogen der Entstehung dieser bisher größten europäischen Prüfung des 21. Jahrhunderts nachzuvollziehen, mit allen Emotionen, die ihn spannend machen“.
Programmdirektor Volker Herres schließlich hat die Prüfung bestanden und sichert sich nicht nur emotional nach ganz rechts ab: „Durch gezielte Indiskretion oder einfach nur durch Pannen können sich Nachrichten verbreiten, die syrische Bürger glauben lassen, Deutschland stünde ihnen offen.“ Ja, haben die denn nicht alle Latten am Grenzzaun? Nichts läge den Deutschen ferner. „Wie man sich auch immer dabei positioniert“ – ob als Nazi oder Programmdirektor –, „eins steht fest: Politik geht uns alle an, und wir Zivilbürger müssen engagiert mitreden, um selbst nicht am Ende die Getriebenen zu sein.“ Es reicht offenbar nicht, Politiker zu „Getriebenen“ zu verklären, auch „wir Zivilbürger“ sind potentielle Opfer. So ein Film über 2015 darf sich nicht wiederholen.
Ab 8. April in der ARD-Mediathek; am 15. April um 20.15 Uhr im Ersten
Diese Kritik erschien zuvor in: KONKRET 04/2020