Vereinfacht gesagt geht es beim (filmischen) Suspense um das Fiebern mit einem Protagonisten aufgrund eines Wissensvorsprungs des Zuschauers über eine Bedrohung – salopp formuliert: das, was uns dazu verleitet, dem Helden/der Heldin zuzurufen: „Dreh dich doch um!“ Es ist der wohl wichtigste Baustein des Spannungskinos. Die besten Regisseure spielen immer wieder in teilweise ausgedehnten Suspensesequenzen mit der Erwartungshaltung des Publikums, dass man das Gefühl haben kann, es sind regelrechte filmische Versuchsanordnungen.
Ein Beispiel aus Hitchcocks umfangreichem Suspense-Labor wäre in „The Birds“ die Szene, in der Tippi Hedrens Charakter vor dem Spielplatz neben dem vollen Schulgebäude wartet, während sich auf dem Klettergerüst hinter ihr langsam die Vögel zum Angriff versammeln. In „Sisters“ lotet de Palma die in „Suspense“ schon vorgeführten Möglichkeiten der Splitscreentechnik für den Aufbau und die Steigerung des Suspense-/Spannungsbogens voll aus. In „Halloween“ lässt sich John Carpenter im Grunde genommen den ganzen Film über Zeit, Suspense aufzubauen und gönnt sich und dem Publikum noch kleinere entsprechende Szenen zwischendurch, z. B. eine unglaublich gespenstische, in der sich die Maske aus der Dunkelheit heraus hinter Jamie Lee Curtis langsam zu materialisieren scheint. In Wes Cravens „Scream“ gibt es dann eine Art multimediale Moebiusschleife des Metasuspense, als der ultimative Filmenthusiast „Halloween“ anschaut und der Heldin immer wieder zuruft, dass sie doch aufpassen solle, während sich der „Scream“-Killer hinter ihm bereitmacht, ihn zu töten, was alles wiederum vom Fernsehteam via versteckter Kamera entsprechend lauthals rezipiert wird – da der Kamerafeed aber zeitverzögert läuft, hört der Killer das Team und unterbricht sein Tun (der Filmnerd ist vorerst gerettet) und geht zu ihnen raus, was sie aber zu spät sehen… eine der delirierendsten Szenen der sogenannten Postmoderne.
Lois Weber hat (noch zusammen mit ihrem Ehemann) im Jahre 1914, also 13 Jahre vor Hitchcocks „The Lodger“, mit dem knapp zehnminütigen „Suspense“ ein Stück reines, aufs Essenziellste verdichtetes Kino geschaffen, dass selbst die hier genannten Regisseure sich noch einige Stückchen von ihr abschneiden hätten können. Eine Formalistin/Stilistin erster Güte, hat sie als Autorin, Produzentin, Schauspielerin und Regisseurin ein Werk geschaffen von teilweise auch großer sozialer Relevanz, das aber dennoch immer im Schatten von D. W. Griffith – und anderer Stummfilmpioniere – stand.
So beruhte „Suspense“ auf einem Stoff, den auch andere (Griffith, Edwin S. Porter etc.) variiert haben, nämlich dem Theaterstück „Au telephone“ von Andre de Lorde. Leider bleiben sind uns viele Varianten nicht erhalten geblieben, aber Beschreibungen und das, was noch existiert, deuten darauf hin, wie sehr Lois Weber dem Stoff ihren unmissverständlichen, auch fotografisch und schnitttechnisch experimentierfreudigen Stempel aufgedrückt hat.
Auch spätere Werke wie „Hypocrites“ – erster Film, der komplette weibliche Nacktheit darstellt, dabei aber auf thematischer Ebene gekonnt den male gaze aushebelt – zeigen, dass sie eine – wie sie selbst es formulierte – absolute Filmemacherin war.