Strukturell ist Hitchcocks Daphne-du-Maurier-Verfilmung „The Birds“ ein Katastrophenfilm. Es ereignet sich eine Naturkatastrophe der etwas anderen Natur, da es in anderen Filmen dieser Art keine Lebewesen sind, die den Menschen bedrohen. Wie im Katastrophenfilm werden verschiedene Menschen in verschiedenen Lebenslagen eingeführt, und es gibt schon erste unheilverkündende Zeichen, manchmal sogar „Mini-Katastrophen“ (in einem Erdbebenfilm Vorbeben). Hier hingegen sind die unheilverkündenden Zeichen nicht als solche zu erkennen, da sie in der Omnipräsenz von Vögeln bestehen. Letztlich wird im weiteren Verlauf das Figurenpersonal und der Handlungsort fokussiert, in diesem Fall auf ein Belagerungsszenario hin.
Tonal ist der Film ein Apokalypsenfilm. Bedauerlicherweise konnte Hitchcock nicht seine Schlussbildidee einer von Vögeln aller Art übersäten Golden Gate Bridge umsetzen, aber es wird doch mehrfach angedeutet, dass diese Vogelplage nicht nur die Bodega Bay heimsucht, zumal das tatsächliche Schlussbild auch sehr stark ist. Somit ist der Film den Zombieapokalypsen näher als Globalkatastrophenfilmen wie Roland Emmerichs „The Day After Tomorrow“ und „2012“. Wäre es zu abwegig zu glauben, dass die Zombies auf der Brooklyn Bridge in „Zombi 2“ eine Hommage von Lucio Fulci an Hitchcock sein könnten?
Nominell ist er als Tierhorrorfilm mit einem Monsterfilm bzw. Creature Feature à la „Tarantula“ verwandt, und diese Verwandtschaft ist bei den ganzen Filmen über Haie (so viele Haie), Piranhas, Alligatoren, Anacondas etc. auch durchaus leicht erkennbar. Aber von mutierten Spinnen und aus der Zeit gefallenen Bestien bzw. fabelwesenartigen Kreaturen zu als harmlos wahrgenommenen Möwen, Tauben und Spatzen (noch nicht mal Geier oder Kondore) ist schon ein konzeptueller Quantensprung, den Hitchcock via du Maurier gemacht hat – leider ist ihm auf dem neuen Pfad kaum jemand gefolgt.
Formal handelt es sich auch um einen Spukfilm, einen Haunted-House-Film. Und wie Robert Wise „The Haunting“, der nur wenige Monate nach „The Birds“ in die Kinos kam, dies für die Zukunft klarmachen sollte, ist die Tongestaltung so bedeutsam, dass man bei diesen Filmen von Klangfilmen sprechen muss. Gruselige Musik, knarzende Türgeräusche und explosionsartiger Donner reichen nicht mehr aus. Musik und Geräuschkulisse verschmelzen immer mehr, wobei „The Birds“ durch den Verzicht auf einen herkömmlichen Score ganz klar auf der Geräuschkulissenseite des Spektrums angesiedelt ist. Eine Veröffentlichung der Tonspur (weitgehend ohne Dialoge) als Soundtrack-Album könnte vielleicht einige Ohren für die Musikalität des Unterfangens öffnen. Oskar Sala war schließlich Komponist und Pionier der elektronischen Musik; zur Vogelklangerzeugung wurde eine Vorstufe des Synthesizers, das Trautonium verwendet. Und wenn zum Finale das Haus regelrecht heimgesucht wird vom intensiver werdenden Vogelgeflatter und –gekreische, dann ist das wie das Crescendo eines Requiems auf die Menschheit.