Festival de Cannes 2019

von Redaktion


Auch in diesem Jahr ist Philipp Schwarz wieder für uns an der Côte d’Azur unterwegs und schreibt über einige Filme der 72. Internationalen Filmfestspiele von Cannes.

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A Hidden Life (R: Terrence Malick; USA/D 2019)

von Philipp Schwarz

Der Stil Terrence Malicks, vor allem seit „The Tree of Life“ (USA 2011), lässt sich beschreiben als eine ekstatische Synthese aus Eindrücken und Bewegungen, aus kreisenden Gedanken und aufschwellender Musik, aus Momenten inniger menschlicher Verbindung und überwältigender Naturerfahrung. Es ist ein Stil, der vor allem das Ewige und Unendliche, das Göttliche in den Blick zu nehmen scheint. Der Drang zur Transzendenz ist in Malicks Filmen zentral – aber es ist eben immer nur ein Drang und nicht ein endgültiges Erreichen oder eine gesicherte Kontaktaufnahme. Malick zeigt nicht die Welt, wie sie ist, und er führt auch nicht vor, wie man sie sehen sollte, wenn man dem wahren Wesen der Dinge näherkommen will. Die Bewegungen, die der Film ganz buchstäblich mit der Kamera, aber auch gedanklich, motivisch und emotional vollzieht, dringen nicht vor zu einer tieferen Ordnung, sondern es sind die ruhelosen, sehnsüchtigen, unsicheren Bewegungen des menschlichen Bewusstseins. Bei aller Erhabenheit und bei allen Gesten der kosmischen Allumfassendheit ist das eigentliche Mysterium im Herzen von Malicks Filmen stets das einzelne, sich selbst nie ganz erkennende menschliche Ich.

Malicks neuester Film „A Hidden Life“ unterscheidet sich von seinen früheren dadurch, dass das Bewusstsein und das individuelle Erleben, dem er sich anzunähern versucht, ein exemplarisches ist: Erzählt wird das reale Schicksal des Bauern Franz Jägerstätter, der während des Zweiten Weltkriegs den Kriegsdienst in der Wehrmacht verweigerte und für diesen Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime hingerichtet wurde. „A Hidden Life“ umkreist somit ein Schicksal, das kein rein persönliches mehr ist, sondern an dem sich die Möglichkeiten und Grenzen moralischen Handelns und damit auch der Kern des Menschseins entscheidet. Dabei interessiert sich der Film nicht wirklich für die konkreten Beweggründe von Jägerstätters Handeln und auch die nationalsozialistische Ideologie, gegen die er sich auflehnt, wird nur knapp anhand von ein paar Schlagwörtern umrissen.

Die besondere Bedeutung von Jägerstätters Handeln besteht in Malicks Film nicht darin, dass er die moralische Verwerflichkeit des Nationalsozialismus als einer von wenigen klar erkennt. Diese Verwerflichkeit liegt in „A Hidden Life“ vielmehr ganz offen auf der Hand, sie ist unmittelbar von der äußeren Erscheinung des Faschismus und den Strukturen seiner Selbstinszenierung ablesbar. Jägerstätters Widerstand, so wie er sich hier darstellt, bedarf in Wahrheit keiner Erklärung – er ist die einzige Handlungsweise, die keiner Erklärung bedarf, die einzige, die unmittelbar den moralischen Gegebenheiten entspricht.

„A Hidden Life“ widmet sich somit nicht der Ausdeutung einer einzelnen bewussten Entscheidung, er zeichnet keinen Prozess des moralischen Abwägens nach. Stattdessen versucht der Film, einen inneren Zustand zu ergründen – er taucht ein in ein Bewusstsein, das erkannt hat, dass die Bindung an das eigene Leben und die Verantwortung für fremdes Leben nicht voneinander zu trennen sind. Das menschliche Ich, das sich der Verantwortung für andere ganz entledigt, ist kein wirkliches Ich mehr: Jägerstätters Heldentum besteht im Kern darin, diese existenzielle Grundlage des Menschseins nicht zu verdrängen, sondern sich ihr mit all seinen Gedanken und mit seinem ganzen Erleben zu stellen. Der Widerstand gegen das Unrecht entspringt in „A Hidden Life“ nicht einem einzelnen Moment der Klarheit und Entschlossenheit, sondern einer umfassenden Sicht auf die Welt und auf das eigene Selbst. Diese Sicht nachzuzeichnen hat sich Malicks Film zum Ziel gesetzt. Es ist eine Perspektive, die in dieser Form nur der Film einzunehmen imstande ist – und die letztlich interessanter ist, als eine umfassende psychologische Ausdeutung.

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Portrait of a Lady on Fire (R: Céline Sciamma; FR 2019)

von Philipp Schwarz

Am Anfang des Films sieht man nur ein Stück Kohle, das mit einem lauten Kratzen über eine weiße Fläche zieht und einen dunklen, schwungvollen Strich entstehen lässt. Der Klang, der sich aus der Berührung zwischen dem brüchigen Stäbchen und der rauen Leinwand ergibt, entfaltet dabei eine unmittelbar körperliche Wirkung: er ist unnatürlich klar und von einer verwirrenden Intensität. Gleich im ersten Bild präsentiert Céline Sciamma in „Portrait of a Lady on Fire“ jene tragische Verflechtung, die den gesamten Film prägt: jene von gegenwärtiger Berührung und zeitloser Abstraktion, von ekstatischem Erleben und dessen Konservierung als Bild. Das eine ist in Sciammas Film nicht ohne das andere zu haben – die Gegenwart kann immer nur so betrachtet werden, als wäre sie bereits Vergangenheit.

Im Zentrum von „Portrait of a Lady on Fire“ steht eine Liebe, die den Verzicht und das Scheitern von Anfang an in sich aufgenommen hat – die vom Bewusstsein ihres notwendigen Endes ihren Anfang nimmt. Im ausgehenden 18. Jahrhundert wird die junge Malerin Marianne an ein herrschaftliches Anwesen auf einer kargen Insel gerufen, um dort Héloïse, die Tochter des Hauses, ohne deren Wissen zu portraitieren. Das Gemälde ist für Héloïses zukünftigen Ehemann bestimmt – es ist somit das symbolische Unterpfand dieser unfreiwilligen Verbindung. Die Beziehung der beiden Frauen entspinnt sich zunächst nur über heimliche Blicke: die forschenden, professionellen Blicke Mariannes und die gleichermaßen abwehrenden wie neugierigen Blicke Héloïses. Das Drama des Films besteht vor allem in der schrittweisen Bewegung darauf hin, dass diese Blicke es zulassen können, selbst gesehen zu werden – und sich die Malerin und ihr Modell endlich offen, von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten.

Die aufkeimende Vertrautheit zwischen den beiden Frauen, die sich irgendwann als Liebe zu erkennen gibt, ist in „Portrait of a Lady on Fire“ ein Ringen um kleine, schicksalshafte Gesten – etwa um ein Lächeln, das den konfrontativen Ausdruck innerer Wut durchbricht und dabei dennoch diese Wut nicht verleugnet. Sciamma inszeniert dieses Ringen in verhaltenen, distanzierten Bildern, die gerade in ihrer Statik und Dauer vor innerer Leidenschaft beben. Es ist dann vor allem das mit Versatzstücken aus der Schauerromantik angereicherte Setting, das den äußeren Anstoß zu Momenten des offenen und ungeschützten emotionalen Ausbruchs bietet: die hohen, zerklüfteten Klippen, die rauschende Meeresbrandung, ein loderndes Feuer in einer dunklen Sommernacht. Doch diese einzelnen Punkte überschwänglicher Intensität markieren keinen stabilen, gegenwärtigen Zustand, sondern nur eine Möglichkeit, die sich nie ganz und keinesfalls auf Dauer verwirklichen lässt. Die Liebe zwischen Marianne und Héloïse kann in der Welt, in der sie leben, nur als innere Vorstellung existieren – oder als ein Bild.

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Parasite (R: Bong Joon-ho; KOR 2019)

von Philipp Schwarz

Eine große menschliche Geschäftigkeit prägt Bong Joon-hos „Parasite“: Ständig sind die Figuren des Films in Bewegung, ständig planen sie etwas und in manchen ekstatischen Momenten – dargestellt in überhöht feierlichen Montagesquenzen – finden sich mehrere von ihnen zusammen, um in virtuos ineinandergreifenden Handlungsschritten ein gemeinsames Ziel zu erreichen oder einen gemeinsamen Gegner auszuschalten. Streckenweise hat es somit den Anschein, als sei Bongs Film eine Feier des menschlichen Einfallsreichtums und der menschlichen Durchsetzungskraft – als schöpfe der Film seine Energie ganz aus dem nie endenden Überlebenswillen des Individuums.

Doch das Gegenteil ist der Fall: Der Film lässt seine Figuren die ganze Zeit wild durch die Welt schießen, nur um uns wieder und wieder vor Augen zu führen, dass all diese vordergründige Dynamik außer Stande ist, irgendeine kausale Kraft zu entfalten – sie bewirkt nichts, schon gar keine grundlegende Veränderung in den Lebensbedingungen der Figuren. All die verschiedenen menschlichen Pläne und Handlungen sind in „Parasite“ ein reines Oberflächenphänomen, von dem die eigentlich entscheidenden gesellschaftlichen Kräfte und Zusammenhänge vollkommen unberührt bleiben: Die arme Familie um den ehemaligen Chauffeur Ki-taek nistet sich Schritt für Schritt in dem Haushalt eines wohlhabenden Ehepaars ein, sie ergattert sich durch List und Dreistigkeit ein paar Krümel vom schönen Leben – und festigt dadurch doch stets nur jene soziale Kluft, die der wahre Grund für ihr Unglück ist. Der reiche Geschäftsmann Mr. Park wird immer wieder von einem intensiven Ekel vor allerlei Körpersäften gepackt – und doch wird bald klar, dass sich dieser Ekel ausschließlich gegen Angehörige der niederen Stände richtet, dass er keine individuelle Eigenart, sondern ein gesellschaftliches Phänomen ist. Und selbst das naive, oft sympathische Wesen der unfreiwilligen Wirtsfamilie ist vor allem eines: ein Standesprivileg – das Nett-Sein ist in „Parasite“ nichts als das Emblem einer Lebensweise, die von der völligen Abwesenheit jedes äußeren Widerstandes geprägt ist.

Das System der sozialen Ungleichheit tritt somit in Bongs Film nicht als ein Zwang in Erscheinung, der von außen auf an sich eigenständige Individuen einwirkt – auf Individuen mit einem von diesem System unabhängigen Innenleben (wie es etwa in Ken Loachs „Sorry We Missed You“ der Fall ist). Die Ungleichheit hat hier längst auch das Innere der Menschen befallen, sie bestimmt deren grundlegendste Eigenschaften, ja, deren gesamtes Wesen – auch und gerade dann, wenn sie selbst meinen, vollkommen autonom zu handeln. Bei allen unerwarteten Wendungen der Handlung, bei allem Abwechslungsreichtum in der Inszenierung, im Schauspiel und im Rhythmus, nimmt „Parasite“ doch immer wieder dieselbe Dynamik in den Blick: wie die einzelnen Menschen, wie die Individualität des Menschen an sich, von dem gesellschaftlichen System aus wirtschaftlichen Abhängigkeiten und sozialen Abstufungen vollkommen ausgelöscht werden. Dass die Betroffenen das meistens selbst nicht wissen, dass, auch wenn sie es wissen, dieses Wissen es ihnen nicht ermöglicht, sich irgendwie anders zu verhalten – das macht die beißende Komik von Bongs Film aus.

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Mektoub, My Love: Intermezzo (R: Abdellatif Kechiche; FR 2019)

von Philipp Schwarz

Am Anfang von „Mektoub, My Love: Intermezzo“ steht noch ganz die Erfahrung eines klaren Zeitverlaufs im Vordergrund: eine Gruppe von größtenteils jungen Menschen sitzt am Strand von Sète an der französischen Mittelmeerküste – sie reden lebhaft miteinander, tauschen alltägliche Nichtigkeiten aus oder besprechen lebensverändernde Ereignisse. Doch das eigentliche Drama der Szene spielt sich in dem allmählich schwächer, weicher und satter werdenden Licht ab, in dem sich über eine halbe Stunde erstreckenden Ausklingen dieses einen Spätsommertages. Es ist ein gemächlicher, unveränderlicher Rhythmus, der hier die kleinen, nervösen Ausschläge des menschlichen Lebens in sich aufnimmt und mit sich fortträgt.

Dieses instabile Aufeinandertreffen zweier unterschiedlicher zeitlicher Rahmen verflüchtigt sich, sobald der Film den Figuren in einen Nachtclub folgt. Hier gibt es scheinbar keine fortschreitende Zeit mehr, hier ist alles nur Stillstand und Wiederholung. Man merkt ziemlich schnell, dass der Film diesen Raum für den Rest seiner Laufzeit nicht verlassen wird und dass er wohl auch inhaltlich und gestalterisch keine großen Wendungen mehr vollziehen wird. „Intermezzo“ setzt in diesem dunklen, engen Raum einen Reigen an Tanzeinlagen, Discomusik und betont strukturlosen Gesprächen in Gang – und schaut dann, wie lange der innere Schwung dieses bunte Karussell in Bewegung halten kann.

Dabei gilt das Interesse des Films ganz überwiegend den vibrierenden weiblichen Körpern. Junge Frauen schwingen sich in „Intermezzo“ unablässig um glänzende Poledance-Stangen, rotieren nebeneinander aufgereiht in synchronen Bewegungen ihre Becken, wackeln ausgelassen mit dem Hintern und haben dabei stets ein freudiges Lächeln im Gesicht, als wäre dies der Inbegriff des Glücks auf Erden. Dabei ist es nicht so, dass der Film diese Körper einfach nur lustvoll zur Schau stellen würde: die ständige, zunehmend mechanische Wiederholung der immergleichen Bewegungen und das krampfhafte Verharren auf den immergleichen Körperteilen nehmen den Bildern schnell jede unmittelbare Wirksamkeit. In ihrer überwältigen, gleichförmigen Masse werden die abgebildeten Körper zu reinen, fast schon abstrakten Formen – sie sind in „Intermezzo“ somit nicht einfache Lustobjekte, die einem (heterosexuell-männlichen) Publikum zur Ergötzung dargeboten werden.

Doch obwohl der Film diese eine mögliche Wirkung aushebelt (ob aktiv gewollt oder nicht), baut er dennoch keine andere Beziehung, kein anders geartetes Verhältnis zu seinen Bildern auf. Der Film vermittelt also zwar nicht einfach nur eine direkte Lust, scheint aber dennoch in einer gleichförmigen (wenn auch unerfüllten) Lusterwartung zu verharren. Der dominierende Eindruck ist der eines großen inneren Zwanges, der sämtliche Bewegungen des Films und der Kamera bestimmt – doch ist nie klar, ob der Film tatsächlich selbst um diese Zwanghaftigkeit weiß, oder ob er nicht doch irgendwo glaubt, hier einfach nur eine rauschhafte Darstellung befreiter jugendlicher Sinnlichkeit zu liefern. Der Film kann seine Bilder nicht einfach nur genießen, tut aber ständig so, als ob er es immer noch könnte – und diese innere Spaltung wirkt irgendwann nicht mehr als produktiver Widerspruch, sondern als eine letztlich uninteressante Selbsttäuschung.

Nach einer guten Stunde taucht schließlich auch die Hauptfigur des ersten Films („Mektoub, My Love: Canto Uno“) auf, der junge, schüchterne Amin. Er nimmt nicht an dem allgemeinen ausgelassenen Treiben teil, obwohl er scheinbar von allen Seiten dazu aufgefordert wird. Amin schaut nur mit einer durchdringenden Eigenschaftslosigkeit durch die Gegend, mit einem Blick, der keine inneren Gefühle oder Gedanken verrät, sondern der lediglich ein nüchternes Registrieren des Sichtbaren zu sein scheint. Auf diese Art wird Amin zu einer Art Stellvertreter des Publikums – er scheint dem ganzen Trubel genauso unschlüssig gegenüberzustehen wie wir. Im Grunde ist „Intermezzo“ ein Film, der allein über seine Dauer, also über die reine Länge der mit ihm verbrachten Zeit, und über seine zwanghafte Gleichförmigkeit funktioniert. Er ist, mit anderen Worten, ganz und gar von unserer Bereitschaft abhängig, seine umfassende Wirkungslosigkeit selbst als eine interessante Wirkung zu begreifen.

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Frankie (R: Ira Sachs; FR/PT/USA/BE 2019)

von Philipp Schwarz

Es wird viel geredet in „Frankie“, nahezu pausenlos, im Gehen, beim Essen, im engen Trambahnwagen auf der Fahrt zum Meer – und doch bleibt die menschliche Kommunikation in Ira Sachs’ Film ein großes, undurchdringliches Geheimnis. Auf Einladung der todkranken Frankie (Isabelle Huppert), einer berühmten Filmschauspielerin, hat sich eine bunte Gruppe von Menschen in einer kleinen Stadt in Portugal eingefunden: Familienmitglieder, ein früherer Ehemann, Freunde und Kollegen. Diese Figuren lässt der Film in immer neuen Kombinationen aufeinandertreffen; beinahe jede Paarung wird einmal durchgespielt.

Dabei geben die Menschen in Sachs’ Film einander – egal, wem sie nun genau gegenüberstehen – stets lang und breit Auskunft über ihr Seelenleben und wenden wortreich ihre großen und kleinen Probleme voreinander hin und her. Nichts Strategisches, nichts Rhetorisches haftet diesen Äußerungen an, ihre Struktur und ihr Tonfall sind die eines gewissenhaften Referats. Aber gerade in ihrem Detailreichtum, in ihrer demonstrativen Offenheit und in ihren wie mit dem Wörterbuch herausgesuchten Formulierungen bekommen diese Monologe irgendwann etwas Starres und Ausdrucksloses. Die Sprache wird schließlich zu einer undurchdringlichen, abweisenden Maske, hinter der sich das tatsächliche innere Erleben ganz von der Welt und den anderen Menschen abkapselt.

Immer wieder kommt es in „Frankie“ auch aber auch zu kurzen Momenten des plötzlichen, wechselseitigen Verstehens. Dabei sticht besonders eine Szene heraus: Kurz nachdem sie mit ihrem Mann Jimmy (Brendan Gleeson) geschlafen hat, setzt sich Frankie in dem großen Wohnzimmer ihres Ferienhauses ans Klavier und spielt ein langsam-melancholisches Schubertstück. Nach einigen Momenten betritt auch Jimmy das Zimmer, nimmt stumm neben seiner Frau auf dem Klavierhocker Platz – und fängt schließlich heftig an zu weinen. Als Frankie ihn fragt, was denn sei, antwortet er nur, dass ihn diese Musik schon immer sehr bewegt habe. Der Satz ist eine offenkundige Lüge, doch gerade in seiner Unwahrheit wird er zu einem leidenschaftlichen Liebesgeständnis.

Denn Jimmy weiß, dass Frankie in ihrer tragischen Situation nur eine Sache wirklich unerträglich ist: wenn andere um ihretwillen weinen. Deshalb verleugnet er sein wahres Empfinden, deshalb schiebt er auf die Musik, was seine Ursache eigentlich in dem Gedanken an Frankies nahenden Tod hat. Mit dieser kleinen Lüge macht er Frankie deutlich, dass, so groß seine Trauer über ihr Schicksal auch sein mag, sie dennoch nicht so groß ist wie die Fürsorge, die er ihr gegenüber empfindet. Trotz all der langen Dialoge und der wortreichen Selbstentblößungen ergibt sich in „Frankie“ der Moment der tiefsten Verbundenheit zwischen zwei Menschen somit erst daraus, dass sich der Sinn der Worte von deren genauer Bedeutung loslöst – dass einmal jemand nicht sagt, was er meint.

Foto: © Festival de Cannes