Allein und unsicher tapst ein kleines Mädchen an einem namenlosen Strand durch den Kies. Die Füße wühlen neugierig, fast verschämt in den feinen Steinchen. Mit einer unbestimmten Sehnsucht blickt das Kind hinaus aufs weite Meer. Gerahmt wird dieses Bild von zwei großen Felsblöcken, die sich wie zu einem Tor formieren. In Lisa Brühlmanns preisgekröntem Debütfilm „Blue my mind“ wird diese Perspektive am Ende wiederkehren und einen neuen Horizont eröffnen.
Doch zuvor, nach dieser Exposition und einem Zeitsprung, ist aus der kleinen Mia zunächst einmal eine 15-jährige Teenagerin geworden, für die alles neu ist: die Stadt, die Wohnung und die Schule. Fremd und verloren sitzt Mia (Luna Wedler) zwischen den Umzugskartons ihres neuen Zimmers. Das Provisorische des Übergangs spiegelt sich zudem in der regen Bautätigkeit im neuen Wohnviertel. In der Schule sucht Mia unsicher und zaghaft Anschluss, während sie mit ihren verwirrenden Gefühlen im Clinch liegt. Doch die coole Mädchenclique, zu der sie gehören möchte, macht es ihr schwer und stößt sie immer wieder zurück. Gefordert sind Mutproben und sexuelle Erfahrungen. Sehr anschaulich und differenziert zeigt Lisa Brühlmann, wie schwierig es für heutige Jugendliche ist, in einem von Porno- und Drogenkonsum, Internet-Dating und Ladendiebstählen besetzten Terrain ihren Weg zu finden.
Mit ihrer ersten Menstruation erlebt Mia zusätzlich eine Veränderung ihres Körpers, die immer mehr zu einer beunruhigenden Verwandlung wird. Die Verwachsungen zwischen ihren Zehen, die Schwimmhäuten ähneln und von der Ärztin als Syndaktylie diagnostiziert werden, breiten sich immer mehr aus. In vielen, teils verstörenden Szenen variiert die Schweizer Regisseurin, die auch als Schauspielerin arbeitet, hier ein phantastisches Motiv, um Mias Gewinn an zunehmender Stärke und Unabhängigkeit zu zeigen. Doch während sie sich verwandelt und damit gewissermaßen erwachsen wird, erfährt sie ihren Körper in seiner Unkontrollierbarkeit als Gefängnis und ihre besorgten, vor allem aber abwesenden und mit sich selbst beschäftigten Eltern als Zumutung.
Lisa Brühlmanns phantastische Coming-of-Age-Geschichte „Blue my mind“, die sehr nuanciert die Gefühlslage und Gefahren einer konsumgesättigten, ziemlich desillusionierten Wohlstandsjugend zeigt, entwickelt anhand Mias Metamorphose eine enorme Sogkraft. Als stünde ihr Leben vor einer Implosion folgen wir angespannt und aus nächster Nähe einer Heldin, die sich zunehmend zwischen einem sich sehr real zuspitzenden Alptraum und eskapistischen Fluchten in eine rauschhafte Wirklichkeit zu verlieren scheint; bis sich ihr Körper schließlich gefunden hat und sich ihr Blick weitet auf einen befreiten Horizont ungezählter Möglichkeiten.