Auch im Kino der Liebe hat die Zukunft begonnen. Das ist kein Wunder, denn die beiden bedingen einander: Liebe vergibt per se einen Kredit auf die Zukunft, immer und für ewig. Die zwei, die sich kriegen, werden ab nun gemeinsam planen. Haus, Kind, Karriere, gemeinsamer Lebensabend. Schön wär’s, denn flüchtig ist sie auch. Von der Liebe wird man bipolar.
Eine Film-Liebe hält rund 90 Minuten. Wer sie erzählen will, muss sich was einfallen lassen. Im Kino hat sich sogar schon der Müllroboter ins iPhone verliebt. Ken Nguyen, der Regisseur des Films „Eye on Juliet“, entwirft ein Liebesszenario auf der Höhe der Zeit. Sein Romeo heißt Gordon (Joe Cole), er steuert in einem düsteren Bürogebäude irgendwo in den USA eine Drohne. Ein potthässliches, veraltetes krebsartiges Ding mit sechs Beinen. Eine Schrottgeburt. Gordon bewacht damit eine Pipeline im Auftrag eines Sicherheitsdienstleisters, wiederum irgendwo, diesmal in Nordafrika. Gordons Leben dreht sich um Robotik-Messen, Soziales liegt ihm nicht so. Gerade wieder einmal hat die Freundin Schluss gemacht. Der Kollege installiert ihm Tinder aufs Handy; Aber die Frauen, die er kennen lernt, bleiben ihm fremd. Er ihnen auch. Das Naheliegende ist das Fernste zugleich: Mit seiner Drohne, die Arabisch spricht, sieht er sich dann eben auf der Arbeit nach Bekanntschaft um. Zufällig belauscht er die junge Ayusha (Lina El Arabi), die sich mit ihrem Freund Karim (Faycal Zeglat) in der Wüste an Gordons Ölleitung trifft. Sie soll mit einem älteren Mann verheiratet werden, mit Karim schmiedet sie Fluchtpläne. Gordon kennt nur Computerspiele, macht sich per Drohne auf ins Leben. Als Avatar unterwegs in der wirklichen Welt mit wirklichen Leuten – das ist spannend. Sofort will er helfen, man muss sich den Drohnenpiloten als guten Menschen vorstellen. Als sehr guten, sogar: Denn gottgleich allwissend agiert er, ein wunderbares Machtgefühl. Er kann und will die Zukunft der beiden steuern, ist Überwachungsstaat im Sorgemodus. Und es soll noch echter werden: Durch einen nächtlichen Unfall Karims gerät er selbst in die Rolle des Liebhabers: Und sieht Ayusha nicht aus wie meine Ex?
Regisseur Nguyen bezeichnet seinen Film als „utopische Träumerei, die Mauern der Technologie und des Glaubens zu stürzen, die unsere Welt auf so viele Arten spalten“. Dafür findet er wunderbare Bilder. Er nimmt sich Platz dafür, gern außerhalb des Plots: So hilft Gordons Drohne einem blinden Mann, der sich in der Wüste verlaufen hat, auf die Straße zurück. Sie gehen ein Stück gemeinsam, der alte Mann gibt ihm Lebenstipps:
– Blinder: Handys lassen die Armen verhungern, junger Mann. Die Technologie ist der Ursprung aller Probleme.
– Drohne: So habe ich das noch nie gesehen.
– Blinder: Ich habe auf alles eine Antwort. Deswegen habe ich auch keine Freunde.
Gordon hat niemanden in seinem Umfeld, der so mit ihm reden könnte. Freunde hat auch er nicht, und nicht mal Antworten. Gordons Drohne geht auch ins Café und quatscht die Leute voll – Maschine und Film erlauben Diskurse über soziale Diskurse.
Nicht zuletzt verarbeitet Nguyen auch Themen wie Energie und Migration: Karim, ein unbescholtener LKW-Fahrer, gerät unter die Benzin-Schmuggler. Das Geld, das sie ihm bieten, braucht er dringend für die Flucht mit Ayusha nach Europa. Und er entlarvt den Sicherheitsdiskurs als profitträchtige Strategie abgehalfterter Militärs: die ihren Auftraggebern ständig Bedrohungsszenarien simulieren müssen, um im Geschäft zu bleiben. Ein intelligenter, wunderschöner, ein politischer Film. Mit einer beruhigenden Botschaft: Die Liebe kann uns auch künftig dort begegnen, wo wir sie nicht vermuten. Sie findet ihren Weg auch noch und trotz Technologie, die die beunruhigende Wurzel allen Übels ist.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Futurzwei 09/2018.