Nach der Geburt seiner Tochter Ana ist der französische Dokumentarfilmer Alexandre Mourot fasziniert vom „Geheimnis des Lebens“ und beobachtet stundenlang die Aktivitäten des Kindes. Dabei stellt er fest, dass Ana mit „großer innerer Energie“ bestimmten Interessen und Zielen folgt und von einem eigenen Rhythmus geleitet wird. Er lernt: „Versuche nicht, sie zu steuern, sondern respektiere ihre Spontanität.“ Und zwar vor allem auch dann, wenn man als Erwachsener oder Erzieher den Impuls verspürt, schützend oder helfend gefährliche oder mutige Aktionen des Kindes zu begleiten. Da kann es einem schon Angst und Bange werden, wenn man die Kleine in einem von Mourots Homemovies selbständig eine Leiter hochsteigen sieht. Am Ende der sehr persönlichen Einleitung seines Films „Das Prinzip Montessori – Die Lust am Selber-Lernen“ („Le maître et l’enfant“) stellt er deshalb die Frage: „Was ist gefährlicher für das Kind: Die Dinge selbst auszuprobieren oder wenn andere für es denken?“
Bei der italienischen Pädagogin Maria Montessori (1870 – 1952), die 1907 in Rom ein erstes sogenanntes Kinderhaus (Casa dei Bambini) eröffnete, und der auf ihren Erkenntnissen, Anschauungen und Methoden basierenden Arbeit einer zeitgenössischen Einrichtung im nordfranzösischen Roubaix findet Mourot Antworten. Im Montessori-Kinderhaus „Jeanne d’Arc“ kann er über zwei Jahre hinweg mit seiner Kamera das Lernen der Kinder begleiten und dokumentieren. Die konzentrierte filmische Beobachtung der kindlichen Aktivitäten wird dabei einmal nicht von Interviews unterbrochen, sondern in Beziehung gesetzt zu Texten Montessoris, die aus dem Off das Geschehen kommentierend ergänzen. Alexandre Mourot gelingt so eine ruhige, anschauliche Darstellung der Montessoripädagogik und ein starkes Plädoyer für deren Prinzip des „Selber-Lernens“.
In dessen Zentrum steht der natürliche Drang zur Arbeit und zum Lernen, der wiederum an bestimmte „sensible“ Entwicklungsphasen gekoppelt ist und von einer „spontanen Konzentration“ getragen wird. Es ist eindrucksvoll, die Kinder bei ihrem ruhigen, selbständigen Tun, das durch Nachahmung angestoßen und durch gegenseitige Hilfe unterstützt wird, zu beobachten. Die Lernenden folgen dabei keinem vorgegebenen Bildungsplan, sondern allein ihrem individuellen Rhythmus. In einem solchen der Freiheit verpflichteten Setting kommt dem Lehrer die Aufgabe zu, die „Bedingungen für spontanes Handel“ zu schaffen.
Der Montessoripädagoge Christian Maréchal, der in der zweiten Hälfte des Films in den Blick rückt, ist in diesem Sinne ein sanfter, aufmerksamer und behutsamer „Ermöglicher“. „Damit das Kind groß werden kann, muss die Autorität des Erwachsenen kleiner werden“, lautet demgemäß ein Satz Maria Montessoris, deren Pädagogik als „Freiheitsbotschaft“ letztlich auf eine gesellschaftliche Utopie zielt. Vielleicht bleibt Alexandre Mourots schöner Film deshalb zu sehr und absichtlich in einem idealischen Raum verhaftet. Jedenfalls weckt er viele Fragen, mit denen Montessoris Utopie freien Lernens an den Bedingungen der Wirklichkeit zu messen wäre.