Ein Mann geht durch die majestätische Bergwelt der Anden mit ihren weiten Hochebenen und schroffen Felsformationen, mit ihren rauschenden Bächen und grünen Weiden. Er geht die Wege seiner Vorfahren und spricht aus dem Off des Films über den Weg, der von Geburt an für jeden Menschen vorherbestimmt ist. Er sagt, der Weg selbst habe Augen und leite die Schritte des Wanderers. Der das spricht, heißt Hipólito Peralta Ccama. Als weiser Priester und spiritueller Lehrer bewahrt und vermittelt er das Wissen seiner Vorfahren. In Rodrigo Otero Herauds stimmungsvollem Filmpoem „Die Augen des Weges“ („Los ojos del camino“), das das Gehen als Metapher für den Lebensweg begreift, bespricht Hipólito den Stein und das Wasser und weiß sich dabei in einer tiefen Verbindung mit den Apus, den umgebenden Göttern der Bergwelt: „Wir gehen nie allein.“
Die Zyklen des Lebens und die Kreisläufe der „Mutter Erde“ bilden gewissermaßen eine Einheit im animistischen Denken des Priesters und seiner Vorfahren. Deshalb ist auch die Weitergabe des ererbten Wissens so wichtig. Und deshalb stellt sich Hipólito das Wirken der Götter als kreisförmig vor. Wenn er die Fließrichtung des Wassers, die Eigenschaften von Regen und Nebel, die Wirkungen des Windes und die Weisheit der Steine beschreibt und veranschaulicht, dann geht es immer um einen Prozess des Reifens und Wachsens. Dieser mündet in der Ernte, der Stärkung und zugleich einem Neubeginn. Im Grunde vermittelt dieses andine Wissen eine Praxis ökologischer Nachhaltigkeit, die heute dringender denn je gebraucht wird. Hipólitos Sorge, der so wichtige Traditionsfaden könnte unter den Wirkungen von Egoismus und wirtschaftlicher Habgier reißen, begleitet seine sich in konzentrischen Kreisen entfaltende Meditation (in Quechua) und hält sie zugleich in einer permanenten Spannung.
In den Wiederholungsschleifen und Redundanzen seines Films nimmt Rodrigo Otero Heraud diese zyklischen Bewegungen auf und spiegelt sie zugleich in der Schönheit der ganz real als beseelt verstandenen Natur. Die lineare Auffassung der Zeit im Gehen und die mit ihm verbundene Traditionsvermittlung sowie die kreisförmige Auffassung der Zeit in der natürlichen Abfolge von Werden und Vergehen bilden also eine Einheit. „Gehen heißt auch Zurückkehren“, sagt dementsprechend Hipólito, der aus einer Priester-Familie stammt und dieses Wissen sehr authentisch und glaubwürdig ausstrahlt. Der Film wechselt deshalb immer wieder ins Schwarzweiß und erzeugt so einen mitunter geheimnisvollen Wechsel zwischen Gestern und Heute. Auf teils idealisierte, in bedächtigem Rhythmus aufgenommene Idyllen folgen dokumentarische Bilder der arbeitenden Landbevölkerung und ihrer archaisch anmutenden Rituale. Die Wahrheiten, die Rodrigo Otero Herauds Film vermittelt, sind einfach. Nur scheinen wir sie vergessen zu haben. Wie sagt doch Hipólito gleich zu Beginn einmal: „Der Mensch kommt auf die Welt, damit das Leben mit vollem Herzen erblüht.“