„Das Leben ist nie so gut oder schlecht wie man glaubt“, heißt es ganz am Ende von Stéphane Brizés tief beeindruckendem Film „Ein Leben“ („Une vie“). Seine Adaption des gleichnamigen Romans von Guy de Maupassant übersetzt den relationalen Gehalt dieses Zitats auf poetische Weise in eine filmische Struktur. Deren zeitliche Koordinaten sind beständig im Fluss. Voraus- und Rückblenden bewirken, dass die Chronologie der Ereignisse aufgebrochen wird und sich Gegenwart, augenblickshaft erinnerte Vergangenheit und ahnungsvolle Zukunft wechselseitig durchdringen. Verstärkt wird dieses zeitliche und seelische Ineinander zusätzlich durch eine asynchrone Montage von Bild und Ton, so dass beispielsweise Worte und Gedanken der filmischen Gegenwart, gesprochen aus dem Off, auf Bilder der Erinnerung treffen. So wird das Hässliche vom Schönen, das Schwere vom Leichten konterkariert oder abgemildert, um jenen Funken Hoffnung zu beseelen, den das Leben in sich trägt.
Stéphane Brizé erzählt die zeitlos gültige Lebensgeschichte einer jungen Landadligen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts entlang dem Wechsel der Jahreszeiten, der (zeitbedingt) zugleich einen anderen, bewussteren Lebensrhythmus beinhaltet. Die wiederkehrende Arbeit im Garten, die Zyklen des von einer göttlichen Natur bestimmten Pflanzens und Erntens, erscheint dabei als Spiegelbild einer reinen, empfindsamen Seele. Der Garten beflügelt die Hoffnung, verkörpert den Schmerz und spendet Trost.
Als die ebenso schöne wie kultivierte Jeanne Le Perthius des Vauds (Judith Chemla), Tochter eines wohlhabenden Barons aus der Normandie, nach kurzer Bedenkzeit den verarmten Vicomte Julien de Lamare (Iwann Arlaud) heiratet, ist ihr reiner, unschuldiger Glaube an das Gute im Menschen noch ungebrochen. Sie ist sich gewiss, dass im Strom der Vergänglichkeit jedes Ding einen Platz und ein Ziel, eine Aufgabe und einen Zusammenhang besitzt. Dieses Vertrauen in die göttliche Schöpfung und den Menschen wird erschüttert, als sie bemerkt, dass sie belogen und von ihrem Mann mit anderen Frauen, die ihr zugleich nahe stehen, betrogen wird.
Reduziert und konzentriert, folgt Brizé den Enttäuschungen und Abstürzen seiner Heldin. Dabei verzichtet er auf eine konventionelle Dramaturgie, um stattdessen die Wende- und Höhepunkte seiner Erzählung aus unvermittelten, abrupten Ellipsen sprechen zu lassen – aus Fragmenten einer aufgesplitterten Zeit. So gewinnt die Einstellung, die Spannung, Intensität und Sinnlichkeit des einzelnen, mit einer Handkamera aufgenommenen (naturalistischen) Bildes an Gewicht. Der französische Regisseur schließt dabei seine unglückliche, durch Verrat und Gewissensnöte sowie den Tod ihrer Eltern und die Abwesenheit ihres Sohnes immer einsamer werdende Heldin in das enge, fast quadratische Academy-Bildformat ein. Jeannes Leben wird zu einem Gefängnis, ihre Ideale und scheinbaren Gewissheiten werden immer wieder enttäuscht. Und doch glimmt in allem Niedergang am Ende auch ein Funken Hoffnung.