„Ein Fremder in einem fremden Land, ein Fremder in meiner eigenen Geschichte“, so stellt sich uns Frank zu Beginn vor, während er mit dem Auto durch die weiten Einöden der USA fährt. In Richtung Los Angeles. Auf der Suche nach einer Frau. Und schon wie RP Kahl in seinem dritten Spielfilm die Landschaft filmt in ihrer geradezu gespenstischen Erhabenheit, die er dann mal mit dem Gesicht seines Protagonisten kontrastiert, den er selbst spielt, an anderer Stelle ihn dann auch in Totalen zu einem winzigen Punkt in der Wüste werden lässt, macht diesen Frank auch zu einer Art Wiedergänger des Westerners auf seinem mythischen Weg Richtung Westen. Später gibt es dann eine Szene an einem Strand in der südkalifornischen Metropole, dort, wo, wie Bret Easton Ellis in seinem großen L. A.-Romandebüt „Less Than Zero“ (1985) schreibt, das Land endet.
1998 hatte RP Kahl mit „Angel Express“, in dem sich einige junge Menschen von Party zu Party und Affäre zu Affäre durch Berlin reden, feiern, trinken, koksen und vögeln, ein erstaunliches Langfilmdebüt vorgelegt, dem es gelang, sehr viel über das Lebensgefühl einer bestimmten Generation in einer Stadt auszusagen, die sich (wie eigentlich immer, aber dann unmittelbar vor der Jahrtausendwende vielleicht doch noch etwas mehr als sonst, schließlich wurde sie genau zu dieser Zeit wieder deutsche Hauptstadt) im Umbruch befand, von dem schon die diversen Kräne und Baugerüste in so ziemlich allen Außenaufnahmen des Films Zeugnis ablegen.
Zwölf Jahre sollte es dauern bis Kahl, als Schauspieler und Produzent sowie Regisseur von Dokumentar- und Kurzfilmen auch sonst recht umtriebig, seinen zweiten langen Spielfilm vorlegen konnte. In „Bedways“ greift er sowohl die erotischen als auch die filmemacherisch selbstreflexiven Tendenzen, die schon beim Vorgänger spürbar waren, auf und formuliert sie weiter aus. Es geht um zwei Frauen und einen Mann, die in einer heruntergekommenen Berliner Altbauwohnung einen „Film über die Liebe“ mit expliziten Sex-Szenen drehen und dabei Sätze sagen wie: „Politische Ökonomie handelt immer auch vom Begehren des Menschen.“ Wird durch die Unterteilung des Films in sieben Tage mit jeweiligen Kapitelüberschriften der Dreh auch als Schöpfungsakt lesbar, sind die schönsten Szenen doch die, in denen der angeleitete Sex vor der Kamera (und somit hier eben auch das Filmemachen) zu einem Akt großer, unheimlicher Intimität werden.
In „A Thought of Ecstasy“, den er nun, nachdem wieder acht Jahren vergangen sind, in die Kinos bringt, ist alles da, was die Vorgänger auszeichnete: Es geht um Obsessionen und (ziemlich explizit gezeigten) Sex, ums künstlerische Schaffen und auch die Theorie fehlt nicht in diesem Film, der förmlich auf ein Baudrillard-Zitat über das allmächtige Wesen der Verführung am Ende und eine letzte metafiktionalen Volte im Abspann zuzusteuern scheint. Dennoch wirkt er im Hinblick auf das bisherige Schaffen des Filmmachers wie ein Befreiungsschlag, weil gerade „Angel Express“ vielleicht mitunter doch an seiner Lebensgefühl-Last etwas schwer zu tragen hatte und Kahls Kino der erotischen Attraktionen (in mehrerlei Hinsicht) und der großen Ambitionen hier nunmehr ganz zu sich kommen kann.
Marie, die Frau, die Frank sucht, hat einen Bestseller über ihre Lebensgeschichte geschrieben. Er heißt „LA Desert“. Aus ihm liest sie als zweite Stimme aus dem Off (neben der Franks). Wo dieses Off also als ein Ort der Vergangenheit bzw. der Reflexion über sie definiert scheint, steht es somit im krassen Kontrast zur regelrecht brutalen Gegenwärtigkeit der von Kameramann Markus Hirner wunderbar abgründig gefilmten Bilder des Films, die umso verstörender wirken, weil die dystopischen USA des Jahres 2019, wo das Autoradio von immer neuen Hitzerekorden im Land „nördlich der großen Mauer“ berichtet, so wirken, als sei alles an und in ihnen nur noch Vergangenheit. Das ganze Land, von den kleinen Motels mit ihren leeren Pools bis zu der gigantomanischen Stahl- und Glasfassaden- und Autobahnarchitektur L. A.s, ein einziger Friedhof, auf dem es selbst (und das, wofür es einmal gestanden haben mag) begraben liegt.
Aus der Geschichte Maries, die einst mit Frank zusammen war, erfahren wir, dass sie in den USA zur Sexarbeiterin wurde, wofür man ihr den Namen Hope gab. Ihr Buch hat sie schließlich unter dem Pseudonym Ross Sinclair geschrieben. Eine Frau, der die verschiedenen Inkarnationen, die sie in ihre Biographie durchlief, in diese schon als unterschiedliche Namen eingeschrieben scheinen, und ein Mann auf der Suche nach Hoffnung. Die erste der Sex-Szenen des Films findet in der Wüste statt, als eine geträumte (?) Vereinigung, die dann nicht eintreten wird, die schönste aber später unter Wasser in einem Pool.
Frank findet nun zunächst die geheimnisvolle Literaturagentin Liz Archer (Deborah Kara Unger), die ihn zu einem Rotlicht-Bunker in der Wüste führt, in dem die Prostituierte Nina (Ava Verne) arbeitet, bei der die Freier ihre SM-Phantasien ausleben dürfen. Wird Frank/Kahl hier zunächst zum (voyeuristischen) Zuschauer in seinem eigenen Film, fühlt sich Nina bald zu ihm hingezogen. Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion, Vergangenheit und Gegenwart verschwimmen immer weiter.
In einer Szene unterhalten sich Nina und Frank, die DVD des Films in den Händen, über Peter Lorres großartige einzige Regiearbeit „Der Verlorene“ (1951). Wie sich der Exil-Rückkehrer Lorre in seinem nachtschwarzen Serienkiller-Noir erinnert, ging den Menschen im Westdeutschland der Zeit derart gegen den Strich, dass sie den „Nestbeschmutzer“ förmlich ein zweites Mal verjagten. Frank sagt nun: „Als ich ein Kind war, glaubte ich, mein Opa sei ein Mörder. Er sah aus wie Peter Lorre.“ Im Niemandsland des LA Desert, wo die Fiktion Erinnerung wird und die Erinnerung Fiktion und beide durchdrungen scheinen von dem Begehren des Menschen, das ihn immer auch verführbar macht, spielt Rolf Peter Kahls meisterlicher neuer Film.