Zum Einstieg ein kleiner Exkurs zur Geschichte des Westerns seit den frühen Sechzigern (von subjektiven Vorlieben und – leider – auch nur großen Namen geprägt):
Schon in einem Film wie John Fords Meisterwerk „The Man Who Shot Liberty Vallance“, 1962 und also zum Ende der klassischen Ära des Genres (wie auch Holywoods) gedreht, ist die Geschichte der Erschließung des Landes, seiner „Zivilisierung“ und ihrer (vermeintlichen) Werte nur noch auf vielfältige Weise gebrochen denkbar, in eine tiefe Melancholie gehüllt, die den Siegeszug der westlichen Welt eher als Verlusterfahrung greifbar werden lässt. Endgültig in seine Moderne sollte das vielleicht amerikanischste aller Genres dann aber bekanntlich ausgerechnet in Italien eintreten. Nämlich 1964 mit Sergio Leones „Für eine Handvoll Dollar“, dessen zu einem (mehr oder minder) neuen Archetyp gewordene Hauptfigur von Clint Eastwood gespielt wird, um den es in diesem Text noch weiter gehen wird.
Wo schon in Leones „Dollar-Trilogie“ (nach dem ersten Film und als Folge dessen großen Erfolges entstanden in den beiden Folgejahren „Für ein paar Dollar mehr“ und „The Good, The Bad and The Ugly“) das Bild vom „Wilden Westen“ der USA im späten Neunzehnten und frühen Zwanzigsten Jahrhundert von Kopfgeldjäger-Antihelden, Gewalt und Zynismus geprägt war, ist spätestens Sergio Corbuccis „Leichen pflastern seinen Weg“ (1968) nur noch als groß(artig)e Gewalttat gegen das Genre und seine ursprüngliche Mythologie zu lesen. Wird schon zu Beginn von einem Politiker programmatisch ausgerufen: „Der alten Westen ist vorbei!“, verunmöglicht das ständige Schneetreiben der Kamera jeglichen Überblick über die Landschaft, die dadurch denkbar eng und bedrückend wirkt. Im Folgenden gibt es dann zwischen den üblichen (aber hier besonders kalkulierenden und gemeinen) Kopfgeldjägern und ihren Opfern auch noch marodierende Banden von Hungerleidern, für die die im Genre – vielleicht auch als Symbol der Domestizierung der Natur durch den Menschen – so wichtigen Pferde nichts weiter sind als ein gefundenes (und sehr buchstäbliches) Fressen – und natürlich eines der düstersten und fiesesten Enden der Filmgeschichte. Für einen alten Linken wie Corbucci haben die Verhältnisse vergangener Zeiten hier auch deshalb Gegenwartsbezug, weil es dezidiert kapitalistische sind. Und spätestens wenn der Film mit einer Texttafel endet, die auf den realen historischen Hintergrund seiner Geschichte verweist, wird deutlich, dass es hier um eine (in jeder Hinsicht äußerst brutale) Gegenerzählung zu dem in der Klassik des Genres vorherrschenden Geschichtsbild ging.
Dem Erfolg der Italo-Western trug dann auch die amerikanische Filmindustrie Rechnung, indem etwa Genre-Auteurs wie Sam Peckinpah oder Robert Altman Western drehten, die so hart und zynisch waren, wie es vor der endgültigen Abschaffung des Hays Codes mit seinen rigiden Zensurbestimmungen 1967 eh nicht möglich gewesen wäre. Damit kommen wir dann auch zu „High Plains Drifter“, der schon als eine Art „amerikanische Antwort“ auf Corbucci gelesen werden kann, einerseits. Andererseits drehte der Italiener dann eben doch noch mit einer irgendwie humanistischen Absicht das Genre durch den Fleischwolf und nahm sein Publikum in die Mangel, während Eastwood fünf Jahre später einfach nur das zynischste und misanthropischste Stück Kino seiner Art vorlegte.
So ist denn auch die von Eastwood natürlich selbst gespielte Titelfigur, die im Vorspann zu der düster klagenden, vage an die epochemachenden Italo-Western-Scores Ennio Morricones gemahnende Musik von Dee Barton durch das flirrende Licht der high plains reitet, ein kolossales Arschloch – und ein verdammt arrogantes noch dazu. Positives Identifikationspotenzial sucht man auch beim Rest des Figurenensembles vergeblich. Wie es die Konventionen des Genres wollen, kommt der namenlose fremde Drifter in eine kleine Minenstadt, an der nur der an den anliegenden See gemahnende Name Lago malerisch ist, und die mit Bangen der Entlassung dreier blutrünstiger Outlaws aus dem Gefängnis harrt, die mit den guten Bürgern von Lago noch eine Rechnung zu begleichen haben. Da Eastwood schon bald beim Barbier Gelegenheit hat, seine Schießkünste unter Beweis zu stellen, entschließt man ihn anzuheuern, um das Städtchen zu beschützen.
Der Preis, der dafür bezahlt werden wird, ist allerdings hoch. Denn unser Drifter, der schon früh in einer ziemlich ekligen Vergewaltigungsszene zeigt, dass er daran gewöhnt ist, sich einfach zu nehmen, was er will, macht von seiner Bezahlung, die darin besteht, dass für ihn alles, was er sich nur wünschen kann, in Lago von nun an aufs Haus geht, denkbar schamlosen Gebrauch. Das beginnt damit, dass er dem alten indianischen Mann und seinen zwei Enkelkindern im örtlichen Laden so viele Decken und Süßigkeiten schenkt, wie sie tragen können (in dieser kurzen Szene ist die Darstellung der Ureinwohner eine ziemlich ambivalente Angelegenheit: Sie werden schon als Opfer des Kapitalismus gezeigt, die auf der untersten Stufe seiner Hackordnung stehen und von seinen Glücksversprechen ausgeschlossen sind, sind damit aber auch wieder verdammt nah am Klischee des edlen Wilden). Und setzt sich nahtlos mit der Lokalrunde im Saloon fort. Dann wird der kleinwüchsige Mordecai (Billy Curtis), in dem der Fremde schnell einen Verbündeten erkennt, zum neuen Sheriff und Bürgermeister in Personalunion ernannt. Schließlich lässt er, der offensichtlich auch noch ein Hühnchen mit der Stadt und ihren Einwohnern zu rupfen hat, in einem Anflug von gemeiner Genialität den Ort, der laut Eingangsschild längst zu Hell umbenannt wurde, auch noch komplett Rot streichen – auch und insbesondere die Kirche.
Der Fremde, der schließlich in einer einfallsreich ins Übernatürliche driftenden Volte am Ende doch noch einen Namen bekommt, ist also schon einer, der mit größter sadistischer Lust bestehende Machtverhältnisse auf den Kopf stellt. Wobei das Bürgertum von Lago natürlich auch denkbar korrupt ist und ihm Kapitalinteressen letztlich wertvoller sind als Menschenleben. Aber er ist eben auch jemand, für den alle erlittenen Traumata letztlich nur ein willkommener Vorwand sind, Männer zu erschießen, Frauen zu vergewaltigen und in jeglicher Hinsicht die Sau rauszulassen. (Allerdings: alleine wie Eastwood den typischen Trauma-Flashback – gleich zweimal aus verschiedenen Perspektiven – inszeniert als finster-fiebrigen Nachtmahr aus Überblende und Close-Up, Nacht und Nebel und gefühlten tausend Peitschenhieben lässt ihn bei seiner zweiten Regiearbeit erscheinen wie einen Meister auf der Höhe seiner Kunst.) Wollte ich dem Film entsprechend zynisch sein, könnte ich wohl sagen: Einer, der der Welt und so ziemlich jedem in ihr mit Hass und Gewalt begegnet, trifft dabei letztendlich auch die Richtigen.
Nachdem er 29 Jahre auf dem Index verweilte, hat Capelight 2017 die Rechte an dem Film erworben und eine Listenstreichung erwirkt, sodass der Verleih ihn nun ungekürzt und frei verkäuflich neu veröffentlichen konnte. Das schön gestaltete Mediabook ist dabei etwas spartanisch ausgestattet. Neben dem obligatorischen Trailer gibt es nur noch einen Booklet-Text, der allerdings in schöner Ausführlichkeit die Bezüge des Films zu anderen Vertretern des Genres und seiner Mythologie herausarbeitet. Geschrieben hat ihn, wie gefühlt mindestens jeden zweiten bei deutschen Editionen von Genrefilmen in den letzten Jahren, Marcus Stiglegger.