Wo die Politik versagt, muss es die Kunst richten. Der Film „Das Kongo-Tribunal“ beginnt deswegen auf einer Theaterbühne. Das Gericht, das hier tagt, ist ein symbolisches. Dennoch bleibt seine Arbeit nicht wirkungslos. Es schafft Öffentlichkeit für einen Konflikt, der mit der modernen Welt und ihrer Kommunikation zu tun hat.
Seit über 20 Jahren tobt der Bürgerkrieg im Kongo, einem der rohstoffreichsten Länder der Erde. Rund sechs Millionen Opfer hat er bisher gefordert – zu Ende ist er nie. Es wird um wichtige Güter gekämpft, an allererster Stelle um Coltan, Grundstoff des Metalls Tantal, ohne den kein Handy funktioniert. Coltan, das Konfliktmaterial schlechthin – verkürzt gesagt: Wer mobil telefoniert, hat also sprichwörtlich Blut an den Händen. Es ist eine Auseinandersetzung ohne Grenzen, Gerechtigkeit, Schutz. Der Abbau des Erzes wird von Milizen kontrolliert und von Kindern unter schlimmsten Bedingungen geleistet, ein Umstand, der von Amnesty International seit Jahren angeprangert wird. Gesteuert wird der Rohstoffhandel von internationalen Konzernen, die in Europa und den USA ansässig sind. Funktionierende staatliche Strukturen im Kongo wären ihnen im Wege: Denn je weniger Barrieren und Kontrollen es gibt, desto eher lassen sich die Preise drücken. Die Konkurrenz der Milizen sorgt für erschwingliche Güter. Eine Situation, von der jeder im Kongo betroffen, in Konflikte hineingezogen werden kann. Und Lösungen sind nicht in Sicht.
Seit einigen Jahren widmet sich der Schweizer Theatermacher Milo Rau dieser Krise in einem der ambitioniertesten Theaterexperimente, das je auf die Bühne kam. Er lud im Kriegsgebiet Opfer, Milizionäre, Regierungsmitglieder, Oppositionelle, Unternehmer und Vertreter internationaler Organisationen zur Teilnahme am Kunstprojekt „Kongo-Tribunal“ ein. Das „Kongo-Tribunal“ setzt eine Idee fort, die von den Philosophen Jean-Paul Sartre und Bertrand Russell stammt: In den sechziger Jahren wurden Kriegsverbrechen der USA in Vietnam vor einer unabhängigen Jury verhandelt – ohne juristische Folgen, dafür in aller Öffentlichkeit. Die Legalität dieses Tribunals bestehe in seiner absoluten Machtlosigkeit und zugleich seiner Universalität, war sich Sartre sicher. Das Gleiche treffe auf das Kongo-Tribunal zu, glaubt Rau. Das Urteil der Jury werde keinerlei Rechtskraft haben. Dabei entstehe aber das Porträt einer entfesselten Weltwirtschaft. Vor- und Beisitz bestritten kongolesische und internationale Experten sowie zwei Anwälte des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Aber nicht spektakulär und anklagend, sondern eher ruhig beginnt Raus Film: mit Luftaufnahmen von einem sehr schönen und sehr grünen Land, auf dessen Hügeln kleine Siedlungen liegen.
Nur allzu bald schon aber folgen Bilder eines Blutbads, dessen Zeuge Rau und sein Team zufällig während einer Recherche-Reise wurden: des Massakers von Mutarule in der Nähe Bukavus im Juni 2014. Über 30 Frauen und Kinder fielen ihm zum Opfer. Erklärungen für den Massenmord ließen sich aber nicht finden. „Dies ist der Grund, warum wir das ‚Kongo Tribunal‘ durchgeführt haben: Um zu verstehen, warum Mutarule, warum all diese Vertreibungen und Massaker stattgefunden haben und weiter stattfinden“, sagt Rau. Und es waren hunderte. Der Grund: Unter dem Grün liegen die Rohstoffe, und wo sie gefunden werden, muss die Bevölkerung mit ihren Ackerflächen weichen.
Der Film dokumentiert diese Inszenierung im Sinne einer Wahrheitsfindung. Ein theatrales Tribunal, sagt Rau, bei dem nichts Kunst, aber alles echt sei: vom Minenarbeiter über den Rebellen und zynischen Minister bis zum Anwalt aus Den Haag spielten sämtliche Teilnehmer nur sich selbst. Gleichzeitig entstehe in dem Film etwas, was eigentlich dokumentarisch gar nicht darstellbar sei: ein Porträt der Weltwirtschaft, eine sehr konkrete Analyse all der Faktoren und Hintergründe, die dazu führen, dass der Bürgerkrieg im Ostkongo seit über 20 Jahren nicht aufhört. Und welche Kräfte ein Interesse daran haben, dass dies auch so bleibt.
Und so teilt sich die Erzählung: Das Massaker im Dorf Mutarule und die gewaltsamen Enteignungen und Zwangsumsiedlungen der Schürfer stehen im Kongo im Fokus. Am zweiten Spielort, Berlin, geht es um die Verwicklungen der Europäischen Union, der Weltbank, der multinationalen Unternehmen in den Konflikt, analysiert von einer Jury um die Afrika-Korrespondentin Colette Braeckman, der Anwalt Edward Snowdens, Wolfgang Kaleck, die Soziologin Saskia Sassen und den Gewaltforscher Harald Welzer. Es werden Handelsvereinbarungen zu Tage gefördert, die für die EU toll, aber für die Minenarbeiter und ihre Familien verheerend sind. Motto der Europäer: Unsere Rohstoffe liegen in Afrika.
Wer verübt die Morde? Oft genug bilden Menschen, die in den Minen keine Anstellung finden, Banden und überfallen ihre Nachbarn. Die Minenarbeiter wiederum bewaffnen sich, um sich und ihre Familien zu schützen. Menschen sind im Weg, weil eine neue Mine gebuddelt werden muss. Menschen sind im Weg, wenn man ihr Wasser für die Metallgewinnung braucht. Eine Konstellation von Mikrokonflikten, die sich in ihrer Brutalität jederzeit ausweiten können.
Die infernalische Situation, wie sie sich in der Region um die beiden ostkongolesischen Städte Bukavu und Goma präsentiere, sagt Rau, sei aus ästhetischer Sicht eine vielleicht einmalige Konstellation. Das sei nicht zynisch gemeint. In dem Konflikt zeige sich eindrücklich und exemplarisch, wie hoch die menschlichen Kosten des globalen Handels mit Rohstoffen sei: „Internationale Multis, durch Bestechung an ihre Gold- und Coltan-Konzession gekommen, vertreiben die Bevölkerung, und wer nicht von alleine geht, wird durch europäische oder amerikanische Monopolgesetze vom Markt gedrängt.“
Weltpolitik mit den Mitteln des Theaters – die Produktion entwickelt durchaus ihre Eigendynamik. Es bleibe ihm bis heute unverständlich, warum der Bergbauminister Albert Murhi und der Innenminister der Provinz Südkivu, Jean-Julien Miruho, beide indirekt mitverantwortlich für das Massaker in Mutarule, freimütig an dem Tribunal teilnahmen, sagt Rau. Beide waren über das Projekt recht schnell ihre Jobs los. „Gott nimmt die Treppe, nicht den Aufzug“, heißt es einmal im Film. Seine Wege sind manchmal unergründlich – wie es das Beispiel der beiden Regierungsvertreter vielleicht zeigt. Wundern tut sich Rau aber bis heute über manches: „Wie es möglich war, dieses im Herz des Bürgerkriegsgebiets durchzuführen – vor 1000 Zuschauern, aufgezeichnet von sieben Kameras, an einem Ort, an dem es kaum genug Strom für ein paar Glühbirnen gibt.“ Und dass schließlich nicht nur die kongolesische Regierung und ihre Opfer, sondern auch die Armee und Rebellengruppen, die UNO, die NGOs, die Vertreter der Weltbank und damit sämtliche westlichen Industrienationen vor die Schranken des Theatertribunals traten – und oft genug unverblümt ihre Verbrechen zugaben. „Die Soldaten der Armee vergewaltigen doch auch“, gibt ein Milizenführer an einer Stelle unumwunden zu.
Sollte sich Gerechtigkeit irgendwann ganz von allein einstellen? Das wahrscheinlich nicht. Es gibt Menschen in diesem Film, die sagen ganz ungöttlich: „Jetzt wollen wir ein richtiges Tribunal.“
Dieser Text ist zuerst erschienen in: amnesty journal 12-2017/1-2018
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Zu Raus Film ist ein Begleitbuch mit Recherche-Ergebnissen, Protokollen, Essays und Statements der Beteiligten erschienen.
Ein Internetprojekt soll die Inhalte des Tribunals in den digitalen Raum verlagern und globale Zusammenhänge transparent machen: www.the-congo-tribunal.com
Auch ein „Doku-Game“ ist dort abrufbar: Im Zentrum steht der fiktive „Zeuge J.“, Opfer des Massakers von Mutarule, dessen Lebensgeschichte in einer interaktiven 3 D-Graphic-Novel animiert wird.