Als im Jahre 1982 ein Science-Fiction-Film mit Harrison Ford als Detektiv unter dem Synchrontitel „Der Blade Runner“ in die Wiener Kinos kam, da erklärte mir ein Schulfreund (der sich zuvor in London bestens informiert hatte), für solch eine Art von Film gebe es jetzt ein neues Wort. Ich sagte: „Ja, eh – Film Noir.“ Und er meinte, nein, das sei die sogenannte Postmoderne. Sehr mysteriös und kompliziert also, das ganze. (Außerdem klang der Titel für österreichische Ohren nach einem Fall von Fettleibigkeit im Turnunterricht.)
Der neuen Regiearbeit des kanadischen Wunderwuzzis Denis Villeneuve („Prisoners“, „Sicario„, „Arrival„) eilt viel voraus: Das reicht vom Konsenswerk- und Stilbildner-Status des Original-Replikantenfilms bis zu breit gestreuten PR-Kraftakten für „Blade Runner 2049″. Dieser ist unweigerlich mehr als eine Fortsetzung, und er operiert virtuos zwischen Reverenz und Revision. Homme triste Ryan Gosling in der Titelrolle ist nun (definitiv) ein Replikant, der im Polizeidienst folgsam auf seinesgleichen Jagd macht und darüber in ständiger Melancholie lebt. Entlang eines Detektivplots und durch Panoramen von ökologisch und posturbanistisch ruinierten Milieus arbeitet der Film seinen Vorgänger durch. Das geschieht sowohl im Modus eines Revisiting von Topoi (Verhör, Wand-Durchbruch, ein Lookalike zur Figur der Pris, eine Entsprechung zum Bradbury Building, paradigmatisch: das Scannen von Räumen auf Kommando) als auch narrativ: Die allmähliche Einsicht in die eigene Herkunft führt zum großen Generationentreffen zwischen Gosling und Ford.
Wie hier Umlenkungen und Phrasierungen gesetzt sind in unserer Erwartung und Erinnerung, sowie in einem vertraut anmutenden ödipalen Phantasma des Besonders- und Auserwählt-Seins, das ist konsequent in Sachen einer Cyborg-Ethik/Politik, die Künstlichkeit als Kategorie anerkennt – und sich dann nach Möglichkeiten von Subjekt-Werdung und Allianzen zwischen verdinglichten Existenzen umschaut. Zugleich aber entsteht an diesem „ideologisch“ spannenden Punkt etwas Krampf und Holpern in einer Story, die ansonsten packend und rührend ist, gerade in ihrer soghaften (im SciFi-Mainstream-Kino bemerkenswerten) Langsamkeit. (Insofern sind zwei der drei den Filmstart online flankierenden Kurzfilme, „Blade Runner 2022“ und „Blade Runner 2048“, in ihrer Krawall-orientierten Grobschlächtigkeit irreführend.) Ähnlich verhält es sich bei der Verbindung des Villeneuve-typischen Sujets „verlorene Kinder“ (seit „Incendies – Die Frau, die singt“ meist in eine etwas betuliche Mindgame-Erzählstruktur eingefasst) mit Motiven der Sklaverei, der Freilassung und der Kooperation mit dem Master, der Sweatshop-Ökonomie und Klassenherrschaft: Das ist politisch begrüßenswert – obwohl: Die Zentralstellung, die hier der Fortpflanzung eingeräumt wird (Auto-Reproduktion als Schlüssel zur Selbstregierung), ist diskutierbar –, aber es wird etwa in den Szenen mit Jared Leto als Konzernherr, Pendant zur Figur des Tyrell von 1982, ein bissl gar redselig. (Insofern ist der dritte Kurzfilm, „Blade Runner 2036“ mit Leto in der Replikanten-Konstrukteurs-Rolle, durchaus nicht irreführend.)
Markant ist hier, wie das Männerduo eingebettet ist in eine Riege von Frauen, die trotzig ihre Traurigkeit herunterschlucken und ihre jeweilige Mission verfolgen: Robin Wright als Polizeichefin, Ana de Armas als Hologramm-Geliebte, Sylvia Hoeks als Killer-Sekretärin. (File under Hommage: Die bedrohlichste und härteste Replikanten-Figur bleibt, wie einst Rutger Hauer, einer Darstellerin aus den Niederlanden vorbehalten.) Wie sehr damit ein rein männlicher Fokus in Sachen experience relativiert oder aber, gerade im Weg seiner Kränkung, bestätigt und in einen Rahmen gesetzt ist, wäre wohl noch auszuschnapsen. Jedenfalls wird auch Sean Youngs Figur der Rachel von 1982 hier regelrecht ein- und abgespielt und bietet vor allem Harrison Ford Gelegenheit zu einer großen Geste. Eine solche wiederum fehlt dem Action-Showdown, einer Hover-Car-Verfolgungsjagd mit anschließendem nächtlichem Nahkampf im strandnahen Meerwasser: Die Szene macht sich ganz selbständig gegenüber ihrem Vorgänger-Pendant, lässt aber auch dessen Prägnanz und moralische Aufladung vermissen.
Super aber ist „Blade Runner 2049“ unter einem Gesichtspunkt, der schon bei Ridley Scotts „Blade Runner“ seit jeher prägend war, nämlich als Eye&Ear-Candy oder, weniger zynisch gesagt, als Motivlandschaft: Wie hier eine sozialräumlich-rhythmische Textur aus Ausleuchtung und Überblendung, Abwarten und Umwerten, Regen und Weinen, Slum und Stille, Gelb und Glitch entfaltet wird, das geht – und zwar nicht im Sinn von „visionärer Kunst“, sondern im Sinn von sinnvoll ins Kino Gehen – in Richtung „I´ve seen things“.
Hier findet sich eine weitere Kritik zu „Blade Runner 2049“.