„Vergiss Gerechtigkeit“ – das ist einer der ersten Sätze, der in Tarik Salehs sehenswertem Thriller „Die Nile Hilton-Affäre“ fällt. Und er bleibt Programm für diese Geschichte über den ägyptischen Polizisten Noredin (Tares Tares), die einen wahren Fall zum Aufhänger nimmt: 2008 wurde die Sängerin Suzanne Tamim in Dubai ermordet. Die Spuren führten damals zu einem der einflussreichsten Männer Ägyptens, einem Bauunternehmer mit besten Verbindungen nach oben. Der Fall sorgte in den arabischen Ländern für viel Aufsehen. Ging es doch um persönliche Abhängigkeiten, Erpressung und Korruption. Regisseur Saleh hat aus diesem Gebräu einen spannenden Film gemacht und die Handlung ins Kairo der „Arabellion“, ins Jahr 2011, verlegt.
An den Hauswänden wird noch für den Aufbau des Landes von Präsident Mubarak geworben – und noch viel mehr für die neuen Eigentumswohnungen, die der Bauunternehmer Hatem Shafiq hat errichten lassen. Der steht aufgrund seiner politischen Aktivitäten unter Immunität, gerät aber bald unter Verdacht, die Sängerin Lalena umgebracht zu haben. Die war blutüberströmt in einem Hotelzimmer aufgefunden worden und die zentrale Figur eines Verbrechersyndikats gewesen, das Prominente erpresst. Noredin soll den Mord aufklären. Und er ist ein bisschen überfordert: Denn normalerweise beschäftigt er sich damit, Schutzgeld von Straßenhändlern und Kleinkriminellen zu erpressen. Die Polizei erscheint hier als Familienbetrieb und Geldeinzugszentrale: Denn Noredins Onkel hält als Chef der Polizeiwache nicht nur beide Hände über die krummen Geschäfte. Nein, er fordert von seinen Beamten sogar mehr Umsatz.
Da ist das Kapitalverbrechen streckenweise nur der Hintergrund, vor dem die Machenschaften der Beamten erzählt werden: Am Tatort bestellen sich die Ermittler erst mal das Mittagessen auf Rechnung der Toten – der sie umgehend das Bargeld aus der Handtasche klauen. Vor allem erpressen sich die Polizeieinheiten verschiedener Bezirke auch untereinander, wichtige Zeugen sterben in der Untersuchungshaft im Beisein eines ganzen Polizeireviers. Ermittlungsergebnis: Selbstmord.
In diese Melange hinein gerät die junge Putzfrau Salwa. Die wichtigste Zeugin des Verbrechens hält sich illegal in Ägypten auf – viel größer kann die soziale Distanz zwischen den Milieus eigentlich nicht sein. Während Bauunternehmer Shafiq im Luxus schwelgt, werden Salma und ihre Mitbewohner unter Druck gesetzt, indem man ihnen die Pässe abnimmt, sie zusammenschlägt, einige (?) tötet. Mit Salmas Hilfe will Noredin das Verbrechen aufklären – in dem er bis zum Hals drinsteckt, ohne es gewusst zu haben.
„Die Nile Hilton Affäre“ ist ein Polizeifilm der komplett anderen Art: Er zeigt ein korruptes Behördensystem, dessen Auswirkungen – Missachtung der Gesetze und Vorteilsnahme – bei den Protesten auf dem Kairoer Tahrir-Platz öffentlich angeprangert wurde. Einer der Auslöser der „ägyptischen Revolution“ war der Tod des Bloggers Chaled Said. Der junge Mann war von zwei korrupten Polizisten zu Tode geprügelt worden. Ein Mord, der ein „Schlaglicht auf die von ägyptischen Sicherheitskräften Tag für Tag ausgeübte brutale Gewalt wirft“, wie Amnesty International damals befand. Mit einigen Jahren Abstand schlägt der Film nun in die gleiche Kerbe.
Diese Kritik ist zuerst erschienen in: Amnesty Journal