Der Terror kommt zunächst von der Tonspur: Detonationen von Bomben, markerschütternder Maschinenlärm, dröhnendes Hämmern und Schreie grundieren die endzeitliche Szenerie von Emin Alpers preisgekröntem Film „Abluka – Jeder misstraut jedem“ aus dem Jahre 2015. In den schmutzigen Straßen der Istanbuler Außenbezirke brennen die Müllcontainer, Fernsehbilder zeigen Straßenschlachten, Spezialkommandos der Polizei durchkämmen die Quartiere auf der Suche nach Terroristen und errichten dafür Straßensperren. Die Metropole am Bosporus mit ihren gigantischen Verkehrsströmen und heterogenen Stadtlandschaften befindet sich im Ausnahmezustand und versinkt zunehmend im Chaos. Emin Alper filmt diesen alles verschlingenden Moloch aus Schönheit, Dreck und Gewalt im fahlen, nebelgrauen Licht des Winters und in entsättigten Farben.
In diesem Klima des Misstrauens und der Verunsicherung, der Denunziationen und Verhaftungen situiert der türkische Regisseur die Geschichte zweier Brüder. Kadir (Mehmet Özgür), der Ältere, wird vorzeitig aus einer langjährigen Haft entlassen unter der Bedingung, dass er für die Geheimpolizei Spitzeldienste übernimmt. Dafür durchwühlt er zusammen mit anderen Männern den Müll der radikalisierten Problemviertel auf der Suche nach Sprengstoff und verdächtigen Chemikalien. Kadirs treue, bald übermotivierte Ergebenheit zeigt ihn als williges, manipulierbares Werkzeug der Macht. Sein Bruder Ahmet (Berkay Ates) wiederum, von Frau und Kindern verlassen, lebt einsam und zurückgezogen und hat einen nicht minder miesen Job: In staatlichem Auftrag tötet und „entsorgt“ er streunende Hunde. Einmal sagt er zu Kadir über das drastisch veränderte, von zunehmender Isolation geprägte gesellschaftliche Leben: „Jeder sitzt in seinem Loch.“
Loyalitätskonflikte, gesteigert zu persönlichen Krisen, bestimmen im Weiteren das Schicksal der Figuren. Während Kadir, der im Haus eines mit Ahmet befreundeten Ehepaars wohnen kann, unter dem Druck seiner Auftraggeber, und von unterdrücktem Begehren getrieben, seine Nächsten verrät, pflegt Ahmet entgegen seinen Weisungen einen angeschossenen Hund gesund. Beide geraten dabei in einen existentiellen Zwiespalt, der sie von sich und den anderen entfremdet, was Emin Alper als einen zunehmenden Realitätsverlust inszeniert. In Zeitschleifen, wechselnden, bevorzugt subjektiven Perspektiven sowie Alpträumen verwandelt sich die surreale Wirklichkeit in eine wahnhafte Zwangsvorstellung, die zu fatalen Entscheidungen und Handlungen führt. In Emin Alpers eindringlich gestaltetem, dystopischem Psychothriller „Abluka“, was übersetzt „Blockade“ heißt, gibt es keinen Ausweg aus der Paranoia. Als filmische Parabel auf politische Krisen und Unrechtssysteme ist er auf verstörende Weise ebenso zeitlos aktuell wie visionär.