Das Regie-Werk Rolf Olsens beginnt mit einer sehr bezeichnenden Texttafel, auf der steht: „Alle Gerüchte wonach dieses Filmwerk mehrfach preisgekrönt wurde, weisen wir empört zurück“. Der augenzwinkernde Mittelfinger in Richtung festival circuit, Qualitätskino und des guten Geschmacks mag nicht nur exemplarisch stehen für den Film, der ihm folgt, die Cross-Dressing-Schlagerklamotte „Unsere tollen Tanten“ (1961), in der denn auch Dialogzeilen aufgesagt werden dürfen wie: „Edeltraud, Sie haben Ansichten wie ein Filmkritiker“, sondern für das Kinoverständnis des Schauspielers, Drehbuchautors und Regisseurs Rolf Olsen. Zwischen 1961 und 1990 hat Olsen, der seine Drehbücher in der Regel selbst schrieb, bei 33 Spielfilmen und einer Fernsehserie Regie geführt. Darunter sind Schlagerfilme, Krimis, Komödien, ein Western und in seinem Spätwerk mit den beiden „Shocking Asia“-Filmen und anderen der seltene bundesrepublikanische Ausflug in die Gefilde des Mondo-Films. Nach Olsens Auffassung ist das Kino durch und durch populär, ist Unterhaltung, pulp, Exploitation, Kolportage, kurz: alles, was den Verfechtern des Kinos als einer „seriösen“ Kunst ein Dorn im Auge ist.
Was ihn dabei von anderen „Schundfilmern“ unterscheidet, ist nicht so sehr eine ausgefeilte Autorenhandschrift als vielmehr die Dringlichkeit, mit der er seine Szenarien (oder zumindest einzelne Szenen) ernst nimmt und, mit tatkräftiger Unterstützung der großartigen Kamera von Franz X. Lederle, immer wieder inszeniert, als ob es kein Morgen gäbe. Zwei Beispiele: In „Der Arzt von St. Pauli“ (1968) bekommt die gute, von Curd Jürgens gespielte Titelfigur als Antagonisten den eigenen Bruder gegenübergestellt, der ebenfalls Arzt ist, in diesem Fall ein in allerlei kriminelle Machenschaften verstrickter Gynäkologe. Biblische Gravitas legt sich über St. Pauli und den Groschenromanplot. Wenn Jürgens hier in einer Szene, die mit dem gnadenlosen Ticken einer Wanduhr unterlegt ist, um das Leben eines Kindes kämpft, ist das lupenreine Suspense, wie man sie selten in solcher Intensität erlebt. In „Käpt’n Rauhbein aus St. Pauli“ (1971) wird ein Unfall, bei dem der wiederum von Jürgens gespielte Protagonist seine Frau aus Versehen ein Treppenhaus hinunter und in den Tod stürzt, ebenfalls mit beträchtlichem Können und ausufernder Dramatik gefilmt. Ganz so, als wüssten die Beteiligten nicht, dass der Film, der auf diese Szene folgt, ziemlicher (wenn auch verdammt spaßiger) Unfug ist, der sich um die derartige Traumatisierung seiner Hauptfigur nicht im Geringsten schert.
Ich habe bislang nur eine Handvoll Olsen-Filme gesehen, zumeist Krimis, aber glaube dennoch sagen zu können, dass sein Kino mit „Blutiger Freitag“ eine Art Apotheose erreicht. Einerseits, weil Olsens unbestreitbares inszenatorisches Talent hier ganz im Dienst einer Erzählung steht. Andererseits, weil das Populäre, für das der Filmemacher steht, hier auf einmal eine so große gesellschaftliche Relevanz entwickelt, wie sie auch dem „Kunstkino“ nur in den besten Momenten eigen ist. Philipp Stiasny und Thomas Groh schreiben in ihrem Artikel zum Film: „Fassbinders langjähriges Projekt, die Problematisierung dessen, ob und wie man in diesem Land leben kann, gesellt sich hier ein unerwarteter Bündnispartner aus der krachledernen Kolportage zur Seite.“
Der Film beginnt wiederum mit einer Texttafel: „Die hier gezeigten Ereignisse beruhen auf ähnlichen Begebenheiten der jüngsten Zeit. Aus naheliegenden Gründen wurden Fakten und Namen geändert. Mit der Wesentlichkeit gewisser Realitäten hat dies nichts zu tun.“ Zunächst einmal wollen diese Worte natürlich möglichst reißerisch einen Bezug des Films zu den Banküberfällen mit Geiselnahme herstellen, die in den frühen 1970er Jahren die Bundesrepublik erschütterten, namentlich dem in der Münchener Prinzregentengasse am 4. August 1971, aber auch zu den Verbrechen der RAF.
Dann hat es aber mit den „gewissen Realitäten“ auch noch eine andere Bewandtnis, weil der Film von 1972 wie kaum ein anderer ein Gesellschaftspanorama und Stimmungsbild der BRD seiner Zeit liefert. Welche Hoffnungen auf eine bessere Welt es in den späten Sechzigern auch immer gegeben haben mag, in den frühen Siebzigern, wie sie „Blutiger Freitag“ porträtiert, sind sie längst verflogen. Wir befinden uns in einem Land, das förmlich zerrissen ist zwischen erdrückend spießiger Kleinbürgerlichkeit und dem (in letzter Instanz reichlich fehlgeleiteten) Aufbegehren gegen sie, zwischen alten Nazis und jungen Wilden, zwischen der Entfremdung in kapitalistischen Lohnarbeitsverhältnissen und der ungezügelten Gewalt, die hier als letzte Alternative zu ihr erscheint.
Wie so oft ist es gerade die Exploitation, die in der hemmungslosen Überzeichnung ihrer Szenarien der Wirklichkeit näher kommt als der Autorenfilm im ursprünglichen Sinn des Wortes, das so genannte „Qualitätskino“. So wie es fünfzehn Jahre später eine so zynische, brutale und obszöne Satire wie „Robocop“ brauchte, um den Zynismus, die Brutalität und die Obszönität des Neoliberalismus gebührend zur Kenntlichkeit zu entstellen, so braucht es die am zeitgenössischen italienischen Genrekino geschulte Härte (es verwundert keineswegs, dass es sich hier um eine italienische Koproduktion handelt), die Kompromisslosigkeit und Rohheit eines „Blutiger Freitag“, um der Ausweglosigkeit der Situation vieler junger Menschen im West-Deutschland der frühen Siebziger gerecht zu werden.
Hauptdarsteller Raimund Harmstorf wurde ein Jahr zuvor durch seine Darstellung der Titelfigur in dem TV-Vierteiler „Der Seewolf“ nach Jack London bekannt, bei dem übrigens Wolfgang Staudte die Regie übernahm, der eine weitere Größe des bundesrepublikanischen Kinos (nicht nur, aber auch des Genrekinos) war, die es wiederzuentdecken gilt. Schon dort gab er mit seinem hünenhaften Äußeren einen gebrochenen Bösewicht, der absolut larger than life war. Hier also spielt er Heinz Klett, den muskelbepackten Rotschopf mit Vollbart und dem im Mundwinkel klemmenden dünnen Zigarillo, den markigen Macho, der seine Sonnenbrille auch nachts nicht absetzt und dessen schwarze Lederhose im Schritt imposant ausgebeult wird. Den Gewaltproleten mit der Maschinenpistole. Den Mörder und Vergewaltiger. Das Schicksal des Darstellers nahm einen ähnlich tragischen Lauf wie das seiner großen Figuren. An Parkinson erkrankt, führte seine ausufernde Selbstmedikation zu Depressionen, wegen derer er auch stationär behandelt werden musste. Als die Bild-Zeitung dann titelte: „Harmstorf in der Klapsmühle“ hängte sich der damals 58-jährige 1998 auf. In einer besseren Welt wäre Klett (mindestens in Deutschland) eine zur popkulturellen Allgemeinbildung gehörende Kultfigur, eine Ikone des Bösen wie Darth Vader oder Travis Bickle. So ist er nur ausgesuchten Aficionados des deutschen Genrekinos vergangener Dekaden überhaupt ein Begriff.
Seine Mitstreiter bei dem vermeintlichen großen Coup sind sehr heterogen. Sie eint aber, dass ihnen dieses gottverdammte Land zu einem riesigen Gefängnis geworden ist. Da nimmt es wenig wunder, dass der Film mit einem Ausbruch beginnt. Mithilfe zweier Komplizen flieht Klett zu Beginn auf dem Weg zu seiner Gerichtsverhandlung wegen kleinerer Delikte aus dem Gerichtsgebäude. Die beiden Polizisten, die ihn bewachten, bekommen gehörig auf die Fresse. Klett ist wieder frei, sein Kompagnon Stevo wird bei der Aktion erwischt. Um Klett scharen sich der italienische „Gastarbeiter“ Luigi (Gianni Macchia), der in seinem Job und darüber hinaus immer wieder mit dem schwelenden Rassismus der Gesellschaft konfrontiert wird. Am deutlichsten wohl in einer Szene, in der ihn ein fetter reicher Unsympath als Kunde der Tankstelle, an der er arbeitet, wüst verbal traktiert und zum Abschied als „Arschloch“ beschimpft (gespielt wird dieser von Rolf Olsen, der sich mit seinem Cameo selbst lustvoll in das Establishment einschreibt, das der Film so vernichtend zeichnet). Luigis Freundin Heidi (Christine Böhm) verzweifelt an ihrer Arbeit in einem Großraumbüro ebenso wie an den kleinbürgerlichen Vorstellungen vom Glück als Mischung aus Familie und Konsum, die ihr ihre Kolleginnen vorleben. Schließlich ist da ihr Bruder Christian (Amadeus August), der aufgrund ewiger Schikanen durch seine Vorgesetzten von der Bundeswehr desertiert ist.
Sie alle überfallen also eine Bank in München mit der festen Überzeugung, dass es nur der richtigen Planung bedarf, um nicht in die gleiche Falle zu tappen wie ihre realen Vorbilder. Zwar scheint es das Glück zunächst gut mit ihnen zu meinen, wenn sich unter ihren Geiseln auch die Tochter (Gila von Weitershausen) eines steinreichen Kaufhausbesitzers findet, doch bald gibt es erste Tote, gerät die Lage immer mehr außer Kontrolle, was sicherlich nicht zuletzt am steigenden Alkoholpegel Kletts liegt.
Es passt zur düster pessimistischen Weltsicht des Films, dass es keinen Silberstreif am Horizont gibt. Groh und Stiasny schreiben: „Selten hat ein deutscher Unterhaltungsfilm so mit Sympathiepotenzialen gegeizt.“ Auch für die Zuschauenden gibt es in dieser Welt längst keine Möglichkeit der (positiven) Identifikation mehr. Der Film lässt die Gegensätze aufeinanderprallen im Konflikt zwischen den Besitzenden und den Habenichtsen, zwischen verschiedenen Weltbildern. Am drastischsten wohl in der in dokumentarischem Duktus gefilmten Szene vor der Bank, bei der ein Fernsehteam die Schaulustigen auf der Straße interviewt, wobei ein unüberwindbarer Abgrund aufklafft zwischen den Älteren, die hartes Durchgreifen und die Todesstrafe fordern, und den Jüngeren, meist Bärtigen, die die Ursachen des Verbrechens in den gesellschaftlichen Zu- und Missständen suchen. So ätzend wie der Film das kleingeistige, verschlossene, von alter Naziideologie durchtränkte, fremdenfeindliche Establishment auch zeichnet, macht er doch keine Hoffnung darauf, dass mit den jungen Verzweifelten, die Marx in den immergleichen klassenkämpferischen Phrasen von sozialer Ungerechtigkeit vulgarisieren, eine Revolution vor der Tür stehen würde oder auch nur möglich wäre.
Alle Vorstellungen von einer anderen besseren Welt der Rebellierenden bleiben denn auch denkbar unbeholfen und naiv. Wo soll die Beziehung von der schwangeren Heidi und Luigi, die wohl einfach nur ungestört zusammen sein wollen, hinführen, wenn nicht wieder in die Kleinbürgerlichkeit, der sie zuallererst entfliehen wollten? Und was sagt Kletts Fantasie von dem Geschäft mit Fleischkonserven im Ausland schon anderes als: „Ich will hier raus?“ Anstatt seine wirklich revolutionäre Agenda zu erschaffen, träumen die Antihelden von „Blutiger Freitag“ nur noch davon, die bestehenden Verhältnisse zu reproduzieren – natürlich mit sich selbst nunmehr auf der Gewinnerseite. Letztlich handelt es sich hier weder um einen linken noch um einen rechten, sondern um einen (nicht nur, aber eben auch politisch) nihilistischen Film, der vom gewaltsamen Zusammenhalt einer an allen Ecken erodierenden Ordnung erzählt. Die einzige Gewissheit, die den Figuren bleibt, lässt sich mit den Worten Jim Morrisons zusammenfassen: „No one here gets out alive“.
Das wirklich Großartige an „Blutiger Freitag“ ist allerdings, wie er es schafft, Gesellschaftsporträt und Genrefilm kurzzuschließen. Der Dreh an Originalschauplätzen mit der höchst mobilen, sich in ständiger Bewegung befindenden Kamera von Lederle unterstreicht einerseits die ungefilterte, rohe Authentizität des Gezeigten, andererseits bestimmt sie auch das atemberaubende Tempo und die Spannung des Films, die mit den Themen von Ausbruch und Flucht korreliert. Denkwürdig unter den immer recht blutig ausgewalzten Gewaltszenen bleibt wohl die Splattereinlage, in der sich ein Polizist auf eine Handgranate wirft, mit der zuvor ein kleiner Junge spielte, den er so mit dem Preis seines eigenen Lebens rettet (die wohl einzige wirklich heldenhafte Tat in diesem Film), und von dessen Oberkörper nur noch ein einziger Matsch aus Blut und Eingeweiden bleibt, der sich über die Straße ergießt. In dieser Szene und einer Montagesequenz bei einer Vergewaltigung gegen Ende, die den brutalen Akt mit Bildern von in einer Metzgerei zerhackten Tierkadavern und einem lesbischen Stelldichein kurzschließen, das (nur in der nun erstmals auf DVD und Blu-ray vorliegenden Langfassung) explizite Aufnahmen von weiblichen primären Geschlechtsorganen liefert, lässt Olsen alle Hemmungen fallen, überantwortet sich ganz dem Exzess und zitiert damit nicht nur die Deliranz italienischer Vorbilder, sondern schafft es sogar noch, diese zu überbieten.
Schon die Breite des DVD/Blu-ray-Digipacks aus dem Hause Subkultur Entertainment zeigt, dass wir es bei ihrer Veröffentlichung des Films buchstäblich mit einem ganz dicken Ding zu tun haben. Als Extras gibt es zwei Audiokommentare, einen von den Filmgelehrten Christian Keßler und Pelle Felsch, den anderen von Daniela Giordano und Giacomo de Nicolò, die zweistündige (!) Dokumentation „Der kalte Tag“, für die, wie bei diesem Label üblich, Sadi Kantürk verantwortlich zeichnete, der sich ausgiebig und informativ mit den Beteiligten unterhält, die noch am Leben sind. Abgerundet wird das Paket durch Trailer, eine Bildergalerie und das Booklet mit dem oben bereits zitierten Text von Thomas Groh und Philipp Stiasny. Diese Edition war nicht nur überfällig, weil der Film bislang nur auf fürchterlichen Grabbeltisch-DVDs erhältlich war und die erhaltenen 35-mm-Kopien wie so viele aus dieser Zeit extrem rotstichig sind. Das Label hat auch nicht die Mühe gescheut, eine Langfassung des Films anzufertigen, die der Version entspricht, die ursprünglich vorgesehen war, aber fürs Kino an einigen Stellen zensiert werden musste. Die Langfassung ist nicht nur wegen der Lesbenpornoszene der Kinofassung klar vorzuziehen. Weil Subkultur aber nun mal Subkultur ist, hat das Publikum die Wahl: auf den vier Discs, zwei DVDs, zwei Blu-Rays, befinden sich beide Versionen und noch eine italienische Variante des Films. Ein abgespeckte Single-Disc-Version für den kleineren Geldbeutel gibt es übrigens auch noch. So soll es sein.