The Beast

(FR/CA 2023; Regie: Bertrand Bonello)

Die Angst vor der Liebe

Leer, kalt und von mattem Grün ist der Raum, in den zu Beginn des Films eine Schauspielerin tritt, um sich von einer körperlosen Stimme aus dem Off inszenieren zu lassen. Die Wirklichkeit, so die Intention des ebenso neutralen wie offenen Greenscreen, tritt gewissermaßen erst später ins Bild. Sie solle, mit seitlichem Blick auf etwas Unheimliches, Angst und Schrecken ausdrücken, lautet die Regie-Anweisung. Die Schauspielerin schreit mit entsetztem Blick, bevor der diesbezüglich sprechende Filmtitel über die Leinwand flirrt. Erst viel später erfahren wir, dass die Inszenierung einem eher harmlosen, mäßig lustigen Werbeclip dient. Doch was die noch namenlose Darstellerin empfindet sowie der Anlass ihrer Furcht scheint echt und begründet. Ihr gelingt tatsächlich noch der Blick in jenen emotionalen Abgrund, der Bertrand Bonellos neuem Film „The Beast“ den Titel gab. In ihr stecken und wirken offensichtlich die Gefühle und Erfahrungen einer langen Geschichte. Sie sagt: „Ich wünsche mir, die Vergangenheit weiterzuleben, habe aber Angst, die Gegenwart zu ruinieren.“

Im Paris des Jahres 2044 herrscht eine gespenstische Leere. Die Straßen sind entvölkert, streunende Hunde und einzelne Gestalten bewegen sich durch die verhalten futuristische Szenerie. KI-Systeme haben weitgehend die Arbeit übernommen und aus den Menschen „useless people“ gemacht. In dieser Situation sucht die Schauspielerin Gabrielle Monnier (Léa Seydoux) eine Arbeit, die Intelligenz und menschliche Präsenz, Reflexion und Verantwortung miteinander verbindet. Aber die KI-Stimme ihres unsichtbaren Gegenübers „winkt ab“ und gibt zu bedenken, dass Affekte die Ergebnisse verzerrten. Erst einmal müsse ihre DNA gereinigt werden, um die schädlichen und plagenden Gefühle früherer Leben sowie die aus ihrer Vergangenheit stammenden Traumata zu löschen. Doch Gabrielle ist unsicher und unentschlossen. Sie fürchtet mit ihren Ängsten auch ihre individuelle Lebendigkeit zu verlieren. Trotzdem entscheidet sie sich schließlich für eine „Reinigung“, die nur einen Augenaufschlag dauern soll, während sie in einem ölig-glibberig schimmernden Wannenbad liegt.

Inspiriert von Henry James‘ Kurzgeschichte „Das Tier im Dschungel“ erzählt Bertrand Bonello eine zeitlich raffiniert verschachtelte „Geschichte der Gefühle“, die traum- und rätselhaft um Angst, Liebe und Einsamkeit kreist. Gerahmt von den dystopischen Schrecken einer nicht allzu fernen Zukunft, in der alle individuellen Probleme und Gefühlsregungen ausgelöscht scheinen, begibt sich Gabrielle während der „Reinigung“ auf eine innere Reise in die Vergangenheit.

1910 ist sie eine gefeierte Konzertpianistin, die ihre seelenvolle Musik aus dem Bewusstsein einer durchdringenden Empfindsamkeit erschafft. Als sie in festlicher Gesellschaft ihrem früheren Verehrer Louis Lewanski (George Mac Kay) wiederbegegnet, wird die mittlerweile mit einem Puppenfabrikanten verheiratete Gabrielle mit einer Liebe konfrontiert, die einst durch dunkle Vorahnungen und damit durch die Angst vor einem Unglück verhindert wurde. Während Paris von einer Hochwasserkatastrophe heimgesucht wird und man in der Oper die „Madame Butterfly“ als „ewiges Drama des Verlust“ aufführt, wiederholt sich die romantische Geschichte einer in ihrem Scheitern die Zeiten überdauernden Liebe unter umgekehrten und zugleich unheimlichen Vorzeichen 2014 in Los Angels.

Der schöne Schein einer geglätteten Wirklichkeit, eine unüberwindliche Einsamkeit und eine zerstörerische Unentschlossenheit lassen die „narzisstische Krise“ schließlich in einem Erdbeben münden. Konzentriert und entschlackt verknüpft Bonello wiederkehrende Motive und Symbole zu einer kühlen und zugleich berührenden Science-Fiction-Phantasie. Dabei offenbart der langsame, geduldige Fluss der Erzählung in seinem Wechsel von Zeiten und Räumen, der auch der Musik eine prominente Rolle zuweist, immer wieder überraschende Verbindungen. Liegt der Schrecken der Zukunft darin, dass dieser mitsamt seinen emotionalen Abgründen ausgelöscht wurde, wie der französische Regisseur meint. Oder brauchen wir als Menschen notwendig die Angst, um das Leben als solches zu erfahren und uns als Individuen zu begreifen, was der Film gleichfalls intendiert. In „The Beast“ heißt es einmal: „Die Katastrophe liegt hinter uns. Wir hatten alles und haben es versaut.“

The Beast
(La bête)
Frankreich/Kanada 2023 - 146 min.
Regie: Bertrand Bonello - Drehbuch: Bertrand Bonello - Produktion: Justin Taurand, Bertrand Bonello - Bildgestaltung: Josée Deshaies - Montage: Anita Roth - Musik: Bertrand Bonello, Anna Bonello - Verleih: Grandfilm - Besetzung: Léa Seydoux, George MacKay, Guslagie Malanda, Dasha Nekrasova, Martin Scali, Elina Löwensohn, Marta Hoskins, Julia Faure, Kester Lovelace, Félicien Pinot, Laurent Lacotte
Kinostart (D): 10.10.2024

IMDB-Link: https://www.imdb.com/title/tt14407336/
Foto: © Grandfilm