Aus der Vogelperspektive gleitet die Kamera über die Gebäude der psychiatrischen Klinik Esquirol in Saint-Maurice bei Paris. Das frühere Hospitz zu Charenton im Marne-Tal, das umgeben ist vom Bois de Vincennes, gehört zu einem Klinik-Verbund, in den auch das am Seine-Ufer stationierte Therapie-Schiff Adamant integriert ist. Mit dieser Tageseinrichtung hat sich der renommierte französische Dokumentarfilmer Nicolas Philibert in seinem preisgekrönten Film (Goldener Bär der Berlinale) „Auf der Adamant“ beschäftigt. Auf diesen folgt nun mit „Averroès & Rosa Parks“ der zweite Teil einer Trilogie über psychiatrische Einrichtungen, wobei sich der Titel auf die beiden nach dem berühmten andalusischen Philosophen und Arzt sowie der US-amerikanischen Bürgerrechtlerin benannten Abteilungen bezieht. Hier filmt Nicolas Philibert als teilnehmender Beobachter sehr ausführlich und konzentriert Therapiegespräche und Gruppensitzungen, die nur durch wenige Bilder von Fluren, Fenstern oder Gartenansichten unterbrochen werden.
Diese Konzentration auf das Gespräch ist Philiberts Interesse am verletzlichen und leidenden Menschen geschuldet, wie es sich ausdrückt in seinem Antlitz, seinen Worten, Gesten und Gefühlen. Die geschützte, von einfühlsamen und zugewandten Therapeutinnen und Therapeuten gelenkte und begleitete Therapie-Situation schafft dafür einen intimen Rahmen. In ihrem müden und sedierten oder aber aufgeregt manischen Sprechen wird die Auskunft zur Fiktion, vermischen sich unablässig und nur schwer entwirrbar Wahn und Wirklichkeit. Auf beunruhigende Weise zeigen sich darin nicht nur tiefe individuelle Verletzungen und die prinzipielle Verwundbarkeit des Menschen, sondern auch der schmale Grat zwischen Normalität und Abweichung, seelischer Gesundheit und psychischer Störung. Im Gespräch treffen die Härte menschlicher Schicksale, die im Übrigen fragmentarisch bleiben und durch Erschließung nurmehr zu erahnen sind, auf Versuche, die betroffenen Patienten gesellschaftlich zu reintegrieren.
Wie soll ausgerechnet ein psychiatrisches Krankenhaus, das zu Beginn beim Anblick der gleichförmigen Architektur von einem Bewohner als „Gefängnis“ bezeichnet wird, seinen Insassen helfen können, eine neuerliche Verbindung zur Welt herzustellen, um ins „normale“ Leben zurückzukehren? Wo finden Benachteiligte, vom sozialen Miteinander ausgeschlossene Menschen in der Gesellschaft einen Platz? Und was bedeutet Fürsorge angesichts eines zunehmend prekärer werdenden, von wirtschaftlichen Bedingungen und Interessen gelenkten Gesundheitssystems?
Diese Fragen bilden den Hintergrund, vor dem die Patienten und Patientinnen über ihre Ängste, Sorgen und Traurigkeit, über Verfolgungswahn, Selbstmordgedanken und schizoide Zustände sprechen. Einer, der oft Dinge äußert, die er nicht so meint, sagt: „Ich weiß nicht, was mein Weg ist.“ Ein anderer, der sich innerlich leer fühlt, bleibt schweigsam und findet keine Antworten. Inneren Frieden zu erfahren, scheint für sie unmöglich zu sein. Wieder ein anderer kritisiert die systemische Praxis: „Wir ersticken, wenn wir ständig Krieg gegen uns selbst führen.“ Für Nicolas Philibert fungiert die Psychiatrie als Spiegelbild für den Zustand unserer Gesellschaft und als Vergrößerungsglas für unsere Menschlichkeit und Verletzbarkeit.