Mit einem Tiger schlafen

(AT 2024; Regie: Anja Salomonowitz)

Arbeit am inneren Schmerz

Der enge Zusammenhang von Leben und Kunst wird schon in den ersten Szenen des Films vermittelt: Im Kerzenschein einer dunklen Bauernstube zeichnet die kleine Maria mit Kohle ein Portrait, während ihre Großmutter mit einem Kreuz eine notarielle Urkunde „unterschreibt“. Die Verhältnisse, in denen das uneheliche Kind aufwächst, sind ärmlich. Erst später wird die künstlerisch begabte Maria Lassnig (1919-2014) von ihrer Mutter aufgenommen, zu der sie zeitlebens ein schwieriges Verhältnis hat. „Der Schmerz ist innen. Ich male meine Gefühle“, beschreibt sie einmal den künstlerischen Ausdruck ihrer körperlichen Empfindungen. Innen und außen verschmelzen in dieser oft hellen und sehr farbigen „Körperbewusstseinsmalerei“, in der der nackte Frauenkörper immer neue Formen annimmt oder in surrealer Weise mit anderen Kreaturen verschmilzt. Indem die Künstlerin ihren inneren Schmerz kreativ verarbeitet, therapiert sie sich selbst.

Die österreichische Filmemacherin Anja Salomonowitz übersetzt in ihrem eigenwilligen filmischen Künstlerportrait „Mit einem Tiger schlafen“ die Subjektivität Lassnigs in einen zeitlosen Bilderstrom. Jenseits einer chronologischen Erzählung wechselt ihr fragmentarischer, episodisch angelegter Film fortwährend die Zeitebenen, wobei Birgit Minichmayr jeweils die verschiedenen Lebensalter der lange verkannten Malerin verkörpert. Dazu kommt noch, dass Solomonowitz die Fiktion immer wieder mit semidokumentarischen Elementen aufbricht und verfremdet. Dann treten die Figuren aus ihrer Rolle und sprechen gewissermaßen als Zeitzeugen zum Zuschauer. In Lassnigs Bildern werden die angesprochenen Themen wiederum gespiegelt. Neben dem Konflikt mit der Mutter, die um die materielle Sicherheit der Tochter besorgt ist, geht es um die Erfolglosigkeit einer unverstandenen Künstlerin im Schatten ihrer männlichen Kollegen – etwa des jugendlich-rebellischen Arnulf Rainer (Oskar Haag) – sowie um das fortwährende Leiden an einem Leben, dass für Maria Lassnig nur durch das Malen erträglich war.

Der große, helle Raum als Atelier und Präsentationsort der „strahlenden Bilder“ markiert den Gegenpol zur Zeitlosigkeit. Die Regisseurin verstärkt diese räumliche Dimension noch durch die Wahl des Cinemascope-Formats. Oft in Unterwäsche oder im Jogginganzug kauert Lassnig in ihrem Kärntner Waldatelier tief in sich versunken vor der leeren Leinwand, malt dann im Liegen, windet sich beim Erspüren der richtigen Malposition oder dämmert mit halboffenem Mund und verzerrtem Gesicht vor sich hin. In ihrer künstlerischen Selbstentäußerung ist sie radikal, als Mensch und Künstlerin unbequem, schwierig und streitlustig. Gegenüber dem oberflächlichen Kunstbetrieb, seinen Moden und leeren Worthülsen zeigt sie sich als „bissiger Hund“. Als kompromisslose Außenseiterin, die einige Jahre auch in Paris und New York arbeitet, ohne von ihrer Kunst leben zu können, wird ihr erst spät Anerkennung und Erfolg zuteil. Noch im hohen Alter sucht sie nach der „erschreckenden Realität der Farbe“ und nach einem geliebten Gefährten inmitten der Einsamkeit; und sagt doch: „Meine Bilder sind meine Kinder. Ein Museum ist ein Waisenhaus.“

Mit einem Tiger schlafen
Österreich 2024 - 107 min.
Regie: Anja Salomonowitz - Drehbuch: Anja Salomonowitz - Produktion: Antonin Svoboda - Bildgestaltung: Jo Molitoris - Montage: Joana Scrinzi - Musik: Bernhard Fleischmann - Verleih: Arsenal Filmverleih - Besetzung: Birgit Minichmayr, Johanna Orsini, Oskar Haag, Lukas Watzl
Kinostart (D): 23.05.2024

IMDB-Link: https://www.imdb.com/title/tt30517551/
Foto: © Arsenal Filmverleih