„Du bist für das Meer geboren“, sagt die junge Narges (Sadaf Asgari) einmal zu ihrem schönen Freund. Amir (Hamid Reza Abbasi) kann gut schwimmen und tauchen, während seine Freundin aus Gründen der Sittlichkeit am Ufer bleibt. Wenn er bei einem Tauchgang die Luft anhält, schafft er es so lange, unter Wasser zu bleiben, dass das Mädchen Angst um ihn bekommt. Diese Fähigkeit wird dem sympathischen jungen Mann im Verlauf von Behrooz Karamizades Film „Leere Netze“, der im Norden Irans am Kaspischen Meer spielt, noch von zweifelhaftem Nutzen sein. Die Notwendigkeit, ab- und aufzutauchen, symbolisiert wiederum die ambivalente Situation, in der sich Menschen befinden, die zum Selbstschutz ihr wahres Leben und ihre wahren Bedürfnisse verstecken müssen. So sind Amir und Narges zwar ein glückliches Liebespaar, das die nur kurze Zeit währenden Gefühle der Freiheit am Meer, bei einer Motorradfahrt oder beim gemeinsamen Picknick auf einer verwaisten Baustellenruine genießt; doch in der Öffentlichkeit muss ihre Liebe unsichtbar bleiben.
Amir und Narges wollen deshalb so schnell wie möglich heiraten. Dagegen spricht allerdings ihre Herkunft aus unterschiedlichen sozialen Schichten. Während Narges einer wohlhabenden Familie entstammt, die eine Konditorei betreibt, lebt Amir zusammen mit seiner Mutter in ärmlichen Verhältnissen und verdingt sich als Kellner. Obwohl er verantwortungsbewusst und gewissenhaft arbeitet, verliert er nach einer Auseinandersetzung mit seinem autoritären Chef seinen Job. Der deutsch-iranische Regisseur nutzt diesen wesentlichen Zwischenfall, um einen Eindruck von patriarchalen Strukturen, Arbeitslosigkeit und mangelhaften Zukunftsaussichten zu vermitteln. Dabei zeigt Karamizade jenseits sozialer Gegensätze und festgefügter Traditionen immer wieder Bilder eines überaus bunten und vielfältigen Lebens und gewährt so Einblicke in eine unbekannte Gesellschaft abseits gängiger Klischees.
Um das hohe Brautgeld aufzubringen und Narges heiraten zu können, heuert Amir schließlich bei einem zwielichtigen Fischer an, der seine Arbeiter hemmungslos ausbeutet und überdies illegal mit Kaviar handelt. In diesem Umfeld verliert der unbedarfte Neuling sukzessive seine Unschuld und seinen Glauben an das Gute, bis er als nächtlicher Stör-Fischer schließlich selbst Teil der kriminellen Machenschaften wird. Zunehmend hoffnungsloser rutscht Amir ab in eine allgemeine Perspektivlosigkeit, die noch verstärkt wird durch engmaschige Abhängigkeiten. Seine Enttäuschung und Frustration nehmen weiter zu, als Narges von der Familie eines reicheren Bewerbers besucht wird.
In einem Realismus der Gegensätze, mit unaufdringlicher Symbolik sowie in subtilen Gesten und Blicken gestaltet Karamizade in seinem an Originalschauplätzen gedrehten Langfilmdebüt ein Drama des Scheiterns und der schuldhaften Verstrickung. Wie sehr dafür die Verhältnisse verantwortlich sind, drückt Amirs Kollege Omid (Keyvan Mohammadi) aus, ein verfolgter, untergetauchter Journalist auf der Flucht: „In diesem Land landet man immer in einer Sackgasse. Man kann nicht tun, was man will. Man kann sich nicht verwirklichen.“ Doch trotz Verzweiflung und schwerer Krisen steht am Ende ein Aufbruch, öffnet sich zumindest für Amir der Blick in die Weite.