Je näher ihre arrangierte Hochzeit mit Nasim rückt, desto unwilliger reagiert die 22-jährige Elaha auf die Anforderungen, die ihre kurdische Community an sie stellt. Sie soll als Jungfrau in die Ehe gehen, aber da sie schon sexuell aktiv war, wird das nichts. Freundinnen und ältere Bekannte raten zu medizinischen Eingriffen, mit der die „Unschuld“ wiederhergestellt werden soll. Oder zu praktischeren Verfahren: Soll sie doch einfach eine Phiole Blut mit ins Hochzeitsbett nehmen.
Aber Elaha sagt: „Ich bin kein Produkt, das man überprüfen kann!“ Sie gerät zwischen die Fronten, ist selbst gespalten: Sie will sich immer weniger Traditionen beugen, die sie für überkommen hält. „Bist du die Frau, die du sein willst?“, hat ihre Lehrerin die gute Schülerin einmal gefragt, die nun einen Minijob in der Reinigung angetreten hat – nicht zuletzt, um an Geld für die chirurgische Rekonstruktion ihres Hymens zu kommen. Auf der anderen Seite steht die Familie: Nichts läge der jungen Frau ferner, als den Eltern und Geschwistern zu schaden, und der Ansehensverlust wäre ein echter Makel. Anders als erwartet verhält sich dabei ihr Verlobter Nasim, der immerhin differenzierte Ansichten zum Thema Zusammenleben hat.
In ihrem ersten Langfilm zeichnet Milena Aboyan ein komplexes Bild ihrer Protagonistin. Die Welt ist nicht dieselbe wie seit Jahrhunderten, das steht für Elaha und ihre Freundinnen fest. Aber einen neuen Fixpunkt haben die jungen Frauen auch noch nicht gefunden. Nur eines ist Elaha gegen alle Widerstände von außen und innen klar: Die Deutungshoheit über ihren eigenen Körper will sie niemand anderem überlassen.
Schauspielerin Bayan Layla legt ihre Filmfigur Elaha so vielschichtig an wie Regisseurin Aboyan den ganzen Film. Sie changiert zwischen schüchterner Wäschereiarbeiterin und selbstbestimmt-emanzipierter junger Frau, zwischen angepasster Braut und aufmüpfigem Twen. Ein schöner und sehenswerter Film, der Preise abräumt, wo er hinkommt.
Hier gibt es eine weitere Kritik zu „Elaha“.
Diese Kritik erschien zuerst am 15.11.2023 auf: links-bewegt.de