Ausatmen, Einatmen: Es gab einmal den Vergleich des klassischen handlungsorientierten Kinofilms – Western oder andere „Reise-intensive“ Filme (kolonial, eh klar) – mit einem atmenden Körper, der sich in einem Rhythmus von Sich-Ausbreiten und Sich-Zusammenziehen dahinbewegt. Davon bietet Tom Cruises „Mission: Impossible“-Franchise, das heute einen dauerhaft einprägsamen Inbegriff von Actionkino verkörpert, ein Zerrbild: mehr Hecheln als Atmen – und das Ausdehnen und Zusammenziehen ritualisiert im Wechsel von weitem Naturraum (rundherum nur Gebirge) und vernetzter Infosphäre (rundherum nur Daten), von durchraster Totalaufnahme und Knopf im Ohr, von Tourismusmetropole als Verfolgungsjagdrevier und verschlossenem Innenraum als Druckkammer bizarrer Choreografien (letzteres mustergültig im Hängen von der Decke einer Datenspeicherkammer im „Mission: Impossible“-Debütfilm von 1996; oder in der Unterwasser-Security-Schleuse im 2015er-Film; oder in der beengten Schlägerei zu dritt in der Herrentoilette im vorigen, 2018 veröffentlichten Film).
Auch Cruises Lebenszeit dehnt sich aus (beim Dreh des neuen Films war er 59), dafür wird sein Repertoire enger: Er macht seit Jahren nur noch Selbstbeweis-Aufgüsse wie das üble „Top Gun“-Reboot oder eben das „Mission: Impossible“-Franchise (das seit 2015 ein Stamm-Regisseur und -Co-Autor, Christopher McQuarrie, betreut). Und das Franchise wird immer länger, ist nunmehr fast ein Vierteljahrhundert alt (mit einer Vorgeschichte zurück zu jenem Maskenball von einer Spionage-Thriller-Serie aus den Mid-Sixties, von der Lalo Schifrins weird getaktetes Musik-Thema und der Titel stammen; auf Synchrondeutsch damals „Kobra, übernehmen Sie!“ – hat sich für die Kinofilme zum Glück nicht durchgesetzt); und auch in den einzelnen Folgen dehnt es sich immer mehr aus, sodass das Finale „Mission: Impossible Dead Reckoning“, nominell Teil 7 und 8, auf zwei knappe Dreistünder und zwei Sommer verteilt ist – aber die Zeit, die für Actionszenen bleibt, scheint sich zusammenzuziehen. Oder andersrum gesagt: War es bei fast allen „Mission: Impossible“-Filmen immer „besonders gleichgültig“, was für eine Art Massenvernichtungs-Formel oder Weltverbesserungs-Waffe wem abgeluchst werden muss, wodurch also die geheimdienstlichen und Terror-Sekten-Ränkespiele motiviert sind, so scheint diesmal leider genau darauf der Fokus des Films zu liegen. Sprich: „Mission: Impossible Dead Reckoning“ (der Titel hat sicher irgendwas zu bedeuten) krankt an zu viel Plot. Es gibt zu wenig Action und zu viele ominös flüsternde Gruppengespräche (speaking of „Atmen“) – und in denen muss immer irgendeine offene Rechnung, irgendein Rachetrieb, irgendein Gefühl, dass die Zeiten künftig anders sein werden, als sie es früher waren (Einsichten dieses Kalibers werden diesmal besonders oft durch verkniffene Lippen gepresst), muss all das sorgfältig kleingekaut werden, als wär dies auch nur ein ganz normaler Superheld*innenfilm und nicht eine Action-Ikone.
Wobei aber und immerhin: Das Intro mit einem russischem U-Boot (wohl als ein Ort, auf den Teil 2 der Abschiedstour zurückkommen wird), der Showdown mit Springerei in von der Brücke stürzenden Zugwaggons, das fetzt schon ein wenig, ebenso die car chase im possierlichen gelben Kleinauto in Rom. Cruise ist da am Steuer per Handschelle an Neuzugang Hayley Atwell gekettet, und sie zanken recht rum, wer da jetzt lenkt und wie und was. Das ist lustig. Aber es ruft, eben gerade mit der Handschelle, den Direktvergleich mit ähnlichen Pärchen-auf-der-Flucht-Situationen in Action-Reise-Krimis von Herrn Hitchcock vor 70, 80, 90 Jahren ins Gedächtnis – von „The Thirty-Nine Steps“ (1935) bis „North by Northwest“ (1959), der sozusagen der letzte Halt vor der James-Bond-Film-Formel war, mit der ja heute noch „Mission: Impossible“ rivalisiert –, und dieser Vergleich fällt schmerzlich, wehmütig aus. Denn: Da ist bei Cruise doch wenig an Spiel mit Objekten, seien sie ein Symbol-Ding oder ein Fetisch-Toy; vielmehr ist die Handschelle hier Teil und Insignie des umfassenden Programms „Bindung“, aufgeladen mit den Werten Loyalität und Verlässlichkeit, und all das wird von Cruises Ethan Hunt hier (und auch schon im vorigen Film) breit verkündet. Und da aber in „Dead Reckoning“ Figuren äußerst schematisch beseitigt (Rebecca Fergusons Ilsa) oder heruntergestuft werden (Ving Rhames‘ Luther), da hier also – auch wenn der wie immer besonders unlustige Franchise-Regular Simon Pegg (der war mal echt gut!) (in anderen Filmen) irgendwas von wegen seine friends seien ihm das Wichtigste daherredet – die Loyalität keineswegs dem Personal gilt, meint das ultimativ unsere Bindung, und zwar an die verlässliche Marke Cruise.
Wie ein braver alter Verbrenner springt er immer wieder an – Tom-Tom-Tom-Tom-Tom! – und tut seinen Dienst. Verweigert hat er nie. Das ist Ideologie in Aktion/Action – Trauma heißt hier auch nur Antrieb: Auf good old Tom Cruise können (sollen) wir uns halt verlassen; verbissen und technologieoffen macht er weiter im Abnützungskrieg gegen den Kinopublikumsschwund. Stunts D.I.Y., na super! (Ich dachte, Belmondo ist tot.) Einst grinste er mit Flatterhaar, jetzt ruft er „I won’t let you down!“. Er predigt (zumal beim salbungsvollen Rekrutieren eines Neuzugangs in die Church of IMF, besonders doof, lang und redselig). Man möchte fast sagen: Er missioniert. Diese Art ist eigentlich unmöglich! Aber: So heißt ja der Film.
Diese Besprechung erschien zuerst in Kurzform in der Zeitschrift Falter und wird sich innerhalb von zehn Sekunden selbst zerstören.