Inside

(GB/DE/BE/CH/GR 2022; Regie: Vasilis Katsoupis)

Essentieller Überlebenskampf

Das hochmoderne, von exquisiten Möbeln, Kunstobjekten und Gemälden „bevölkerte“ Luxusloft liegt im oberen Stockwerk eines Hochhauses von New York. Dicht gedrängt stehen die Wolkenkratzer mit ihren spiegelnden Fassaden und bilden dabei enge Straßenschluchten, die wie Labyrinthe oder Fluchtwege aussehen. Die weite und helle Transparenz des Apartments mit seinen offenen Räumen kontrastiert diese abgezirkelte städtische Außenwelt. Mit Hilfe eines Hackers, der über einen Code die Alarmanlage für wenige Minuten ausschalten kann, ist der Kunstdieb Nemo (Willem Dafoe) in die verwaiste Wohnung eingedrungen, um mehrere Gemälde von Egon Schiele zu stehlen. Als er so schnell wie er eingedrungen ist, den Schauplatz des Verbrechens wieder verlassen möchte, blockiert das Sicherungssystem die massive Holztür. Eine ohrenbetäubend laute Alarmanlage wird ausgelöst. Durch einen panischen Eingriff in die Elektronik gelingt es dem Einbrecher zwar, diese zu deaktivieren, doch dadurch gerät fortan die Klimaanlage außer Kontrolle. Hitze und Kälte, Hunger und Durst ausgesetzt, sitzt Nemo in der Falle eines modernen Systems, das für ihn zum Hochsicherheitsgefängnis wird.

In seinem Spielfilmdebüt „Inside“ zeigt der griechische Regisseur Vasilis Katsoupis diese unfreiwillige Isolation als gnadenlosen Überlebenskampf. Während Nemo zunächst rudimentäre Ausbruchsversuche unternimmt, muss er feststellen, dass die Wohnung nicht nur in allen Teilen und Belangen massiv verschlossen ist, sondern außer ein paar Konserven, Alkoholika und Hundefutter keine Nahrungsmittel im Vorrat hat. Außerdem wurde durch die komplizierte Haustechnik die Wasser- und Gaszufuhr gesperrt. Nur die von Zeit zu Zeit aktivierte Pflanzenbewässerungsanlage spendet Wasser, das von Nemo gierig in Behältern aufgefangen wird. Eine verletzte, flugunfähige Taube vor einem der Panoramafenster spiegelt Nemos Gefangenschaft ebenso wie jene Fotografie, die Passagiere auf einer Fluggasttreppe zeigt, die im Nirgendwo endet. Die lange Dauer der Isolation lässt sich ablesen an der zunehmenden Verwahrlosung der Wohnung, die bald wie ein Schlachtfeld aussieht, sowie an den psychischen Beeinträchtigungen des Helden, der von Halluzinationen heimgesucht wird. Daneben charakterisiert eine einseitige Durchlässigkeit die Dialektik von innen und außen; denn durch Überwachungskameras kann Nemo zwar Bruchstücke der nahen Außenwelt sehen, bleibt dabei selbst jedoch für andere unsichtbar.

In einem seiner Albträume, in denen Nemo an einer Vernissage des von ihm bestohlenen Kunstsammlers teilnimmt, sagt er den Satz: „Ich bin eine Insel.“ Die Idee eines Inseldaseins, das Kunst zum einzigen Überlebensmittel erhebt, rahmt und durchdringt den Film und seine zahlreichen Spiegelungen. Denn der Held beginnt nicht nur, in ein Skizzenbuch zu zeichnen und Wände zu bemalen, sondern er errichtet aus Möbeln und Gegenständen ein hohes Gerüst, das ihm über ein Oberlicht die Flucht ermöglichen soll. Diese Konstruktion ähnelt zunehmend einer Skulptur, während Nemo gleichzeitig damit beschäftigt ist, Werkzeuge herzustellen. In einer alten Schrift liest er etwas über die Überwindung der Gegensätze durch die enge Verbundenheit von Körper und Seele sowie über die transformative, ewige Kraft von Energie. In Vasilis Katsoupis‘ reduziertem, auf elementare Lebensfunktionen konzentriertem Film gelingt dem Gefangenen diese sowohl geistige als auch körperliche Überschreitung durch Kunst hin zu einer Transzendenz. Angesichts einer „umgeformten“ beziehungsweise in Chaos verwandelten Wohnung konstatiert er: „Letzten Endes gibt es keine Schöpfung ohne Zerstörung.“

Inside
Großbritannien, Deutschland, Belgien, Schweiz, Griechenland 2022 - 105 min.
Regie: Vasilis Katsoupis - Drehbuch: Ben Hopkins - Produktion: Marcos Kantis, Giorgos Karnavas, Konstantinos Kontovrakis - Bildgestaltung: Steve Annis - Montage: Lambis Haralambidis - Musik: Frederik Van de Moortel - Verleih: SquareOne Entertainment - FSK: ab 12 - Besetzung: Willem Dafoe, Gene Bervoets, Eliza Stuyck, Josia Krug
Kinostart (D): 16.03.2023

DVD-Starttermin (D): 29.09.2023

IMDB-Link: https://www.imdb.com/title/tt14781036/
Foto: © SquareOne Entertainment