The Five Devils

(FR 2022; Regie: Léa Mysius)

Verschattete Identität

Die mysteriösen Sounds der Exposition sowie die schreienden, in Tränen aufgelösten Mädchen, hinter denen ein Haus lichterloh in Flammen steht, verheißen nichts Gutes. Trotzdem scheint in dem kleinen, im Schatten der französischen Alpen liegenden Ort zunächst alles seinen gewöhnlichen Gang zu gehen. Die junge Schwimmlehrerin Joanne (Adèle Exarchopoulos), ehemals Schönheitskönigin der Rhône-Alpes-Region, wie ein Poster verrät, leitet eine Aquajogging-Gruppe und kümmert sich nebenbei und ein bisschen halbherzig um ihre etwa 10-jährige, ziemlich aufgeweckte Tochter Vicky (Sally Dramé). Dabei wirkt Joanne merkwürdig unausgeglichen und reizbar, als würde sie etwas bedrücken. Nach der Arbeit geht die Außenseiterin, die offensichtlich nur wenige soziale Kontakte hat, regelmäßig in einem kalten Bergsee schwimmen. Ihr Element ist das Wasser und die ihr zugeordnete Farbe das Blau. Dieses steht in einer Spannung zum Rot, das mit ihrem Mann Jimmy (Moustapha Mbengue) assoziiert ist, einem aus dem Senegal stammenden Feuerwehrmann. Seit zehn Jahren sind die beiden verheiratet, doch ihre Ehe scheint erkaltet zu sein.

Die dunklen Schatten einer schweren, zunächst nicht näher bestimmten Vergangenheit scheinen auf den Figuren zu lasten. In Léa Mysius‘ mit fantastischen Elementen angereichertem Liebesfilm „The Five Devils“ („Les cing diables“) gelingt es Vicky, in diese emotional aufgewühlte Zeit vor ihrer Geburt einzudringen. Begabt mit einem außerordentlichen Geruchssinn, mit dem sie Menschen identifiziert und sich im Raum orientiert, stößt die kleine, neugierige und sehr kluge Sammlerin von Düften auf einen scharfen Geruch, der sie bewusstlos macht und in die Vergangenheit katapultiert. Dort wird sie, die für fast alle anderen unsichtbar bleibt, zur Zeugin von Liebeswirren zwischen Joanne und Jimmys geheimnisvoller jüngerer Schwester Julia (Swala Emati), aber auch zwischen ihrem späteren Vater und der impulsiven Nadine (Daphné Patakia). Und sie reagiert in der Gegenwart der Handlung, in der nach zehn Jahren Julia plötzlich wieder auftaucht und – auch in der kleinen Gemeinde – für allgemeine Unruhe sorgt, ziemlich eifersüchtig. Einmal fragt Vicky ihre Mutter: „Hast du mich geliebt, bevor ich existiert habe?“

Mit fließenden Kamerabewegungen und einem fluiden, durchlässigen Stil wechselt Léa Mysius die Zeiten und webt dabei ein dichtes, magisches Gewebe aus Gegenwart und Vergangenheit, Realität und Vision. Erst langsam, dann immer dringlicher drängen die früheren Konflikte und Geheimnisse in das aktuelle Geschehen und damit in Vickys Bewusstsein. Außerdem muss sich das ungewöhnliche Mädchen, das wegen seiner Hautfarbe und eines mächtigen Afrolooks gehänselt und angefeindet wird, gegen Diskriminierung wehren. Wenn wiederum Joannes Vater (Patrick Bouchitey), Julia als „Lesben-Pyromanin“ verunglimpft, wird klar, dass es in „The Five Devils“ neben der Abwehr des Fremden auch um sexuelle Ausgrenzung geht. Im Zentrum des magischen Geschehens, das mit diversen Zeichen und Symbolen aufgeladen ist, steht aber Vickys Suche nach dem Ursprung ihrer Identität und das damit einhergehende unstillbare Verlangen, sich der Liebe ihrer Eltern zu versichern.

The Five Devils
(Les cinq diables)
Frankreich 2022 - 96 min.
Regie: Léa Mysius - Drehbuch: Paul Guilhaume, Léa Mysius - Produktion: Jean-Luis Livi, Fanny Yvonnet - Bildgestaltung: Paul Guilhaume - Montage: Marie Loustalot - Musik: Florencia Di Concilio - Verleih: MUBI - FSK: ab 12 - Besetzung: Swala Emati, Sally Dramé, Moustapha Mbengue, Paul Guilhaume, Adèle Exarchopoulos
Kinostart (D): 13.04.2023

IMDB-Link: https://www.imdb.com/title/tt13391708/
Foto: © MUBI