Im Oktober 2018 erschüttern die „Gelbwesten“ Frankreich. Die Regierung von Präsident Emmanuel Macron hat höhere Spritpreise in der Pipeline. Aus dem gleichen Rohr wird mit Steuererhöhungen gefeuert. Obendrein soll es ein Tempolimit auf der Landstraße geben. Dort fährt, wer wenig Geld hat und doch irgendwohin muss. Französische Autobahnen sind mautpflichtig. Vor allem Tempolimit und Sprit lassen die Volksseele heiß laufen. Eine Protestwelle überzieht das ganze Land, auf der Straße die prekäre untere französische Mittelschicht. Die weiß nicht, wie sie über die Runden kommen soll.
Die Aktivisten postieren sich an den Straßen in den Kreisverkehrsrondellen, hier rollen die Wagen mit den Berufstätigen langsamer, hier werden sie angesprochen. Ihre leuchtenden Sicherheitswesten geben der Protestbewegung ihren Namen: „Mouvement des Gilets jaunes“, die Gelbwesten. Gleichzeitig läuft eine Online-Petition. Gefordert werden 40 Einzelposten, von Mindestlohn und Renten bis zur Wiedereinführung der gerade abgeschafften Vermögenssteuer ist alles dabei. Mobilisiert – und das sehr schlagkräftig – wird über die sozialen Medien.
Es ist eine kurze, harte Zeit des Protests, und Regisseur Emmanuel Gras war mittendrin dabei. In Chartres, einem Vorort von Paris, filmt er täglich Agnès, Benoît, Nathalie und Allan. Sie sind wütend, sie kommen von unten, sind Pflegerinnen und ehemalige Obdachlose. Sie berichten von Armut, Schikane auf dem Arbeitsamt, Alkoholismus. Gras‘ Film „Eine Revolution – Der Aufstand der Gelbwesten“ berichtet detailgenau über Protestmethoden, Ziele und die nicht zu knappen inneren Widersprüche der Bewegung. An keiner Stelle gibt er Wertungen ab und bietet genau deshalb eine solide Diskussionsgrundlage über Für und Wider der Proteste.
Denn die Gelbwesten nehmen eine gefährliche Entwicklung. Sie sind keine einheitliche, in Politik geübte NGO, sondern mehr oder weniger durch die Ereignisse zusammengewürfelte Menschen, die es nicht mehr hören können, dass, kaum dass der neue Präsident in Amt und Würden ist, die Rente gekürzt werden soll. Klimaschutz? Bezahlt die Unterschicht.
Mit wenigen Zugeständnissen, knallharter Polizeiarbeit, mit Tränengas und großer Hilfe des rechtsextremen Rassemblement National, der die Proteste vereinnahmt, werden die Gelbwesten ganz schnell zerlegt. Zu 44 Prozent sollen sie für die Rechtsextremen bei den Wahlen zum EU-Parlament 2019 gestimmt haben, das Bild des von Demonstranten und Einsatzkräften zerhauenen Prachtboulevards, des Champs Élysées, tat sein Übriges. Eine linke Alternative schien nur kurz auf, auch grenzübergreifend. Der Vorstand der Partei Die Linke in Deutschland solidarisierte sich zu Beginn noch mit den Protesten – das Anliegen sei berechtigt. Doch der damalige Linke-Vorsitzende Bernd Riexinger hatte sich bereits zuvor ob des rechten Potenzials skeptisch geäußert.
Und heute? Spricht man allenfalls in Anekdoten von den Gelbwesten. Regisseur Gras hat sie nicht vergessen und ruft sie ins Gedächtnis. Er porträtiert in seinem Film gekonnt und in bester Dokumentarfilm-Manier eine ganze Protestbewegung in 100 Minuten. Chapeau!
Diese Kritik erschien zuerst am 12.01.2023 auf: links-bewegt.de