Peter von Kant

(FR 2022; Regie: François Ozon)

Hoffnungslos liebeskrank

Köln 1972. Hinter einer breiten Fensterfront wird ein schwerer, roter Vorhang aufgezogen. Wie im Theater fällt der Blick auf eine Bühne, die aus einem geräumigen Wohnatelier besteht und mit flauschigen Teppichen, weinroten Tapeten und Reproduktionen des heiligen Sebastian ihre dunkle Künstlichkeit ausstellt. Von Schlaflosigkeit und Albträumen geplagt, beginnt hier der gefeierte Filmregisseur Peter von Kant (Denis Ménochet) seinen Tag, gehorsam unterstützt von seinem treuen Assistenten Karl (Stefan Crépon). Der Künstler ist ein getriebener Machtmensch, der exzessiv trinkt, raucht und kokst und die Menschen in seinem Umfeld hemmungslos manipuliert und ausbeutet. Das macht ihn ebenso stark wie einsam. Seit er sich von seinem langjährigen Geliebten Franz getrennt hat, werden seine Leiden noch ärger. „In jeder Liebesbeziehung gewinnt die Unzulänglichkeit“, sagt er zu seiner Muse Sidonie (Isabelle Adjani), die er einst zum Star gemacht hat. Jeder Mensch brauche andere Menschen, habe aber das Zusammensein nicht gelernt.

In seinem Kammerspiel „Peter von Kant“ hat der französische Regisseur François Ozon nach „Tropfen auf heiße Steine“ zum zweiten Mal einen Stoff seines verehrten Vorbildes Rainer Werner Fassbinder adaptiert. Unter vertauschten Geschlechterrollen und mit einem Wechsel ins Filmmilieu erzählt er noch einmal dessen Film und Theaterstück „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ (1972). Diese Umformung gibt Ozon zugleich die Möglichkeit, nicht nur vom Drama unerfüllter Liebe zu erzählen, sondern zugleich ein Künstlerportrait zu entwickeln, das unverkennbar Fassbinder meint. Im Spiegel dieser Widmung erforscht sich Ozon außerdem selbst, indem er die komplexen Wechselwirkungen zwischen Kunst und Leben dezidiert und sehr intensiv in den Mittelpunkt rückt.

Sein herrischer und auch gegenüber sich selbst rücksichtsloser Protagonist Peter von Kant ist nämlich ein Filmregisseur, der die Geschichten und Gefühle seiner Schauspieler rigoros vereinnahmt. Besonders deutlich wird das in einer Casting-Szene, die als Film-im-Film inszeniert ist und in der sich der Meisterregisseur die traurige Lebensgeschichte seines neuen Schwarms und Schutzbefohlenen Amir Ben Salem (Khalil Gharbia) erzählen lässt. Der 23-jährige ist schön, ahnungslos und unerfahren; er hat weder einen Plan noch ein Ziel. Und so verspricht ihm Peter von Kant, während er sich unsterblich in den jungen Mann verliebt, Amir zu einem Star aufzubauen und mit ihm die Welt zu erobern. „Tod ist heißer als Liebe“, heißt der in Anspielung auf einen Fassbinder-Titel veröffentlichte Film, mit dem das gelingt und der in Cannes gefeiert wird.

Nach einem Zeitsprung von neun Monaten sind damit aber auch die Kräfteverhältnisse umgedreht. Emotional abhängig und mit seinen obsessiven Gefühlen im Ungewissen gelassen, leidet Peter von Kant jetzt unter Eifersucht und einer unerwiderten Liebe. An seinem Geburtstag, mit einem weißen Anzug bekleidet, kehrt er schonungslos und impulsiv seine leidenschaftlichen Gefühle und inneren Kämpfe nach außen und gegen andere. Wie ein Berserker wütet er gegen seine Mutter (Hanna Schygulla), gegen seine Tochter (Aminthe Audiard) und gegen Sidonie, die ihn schmerzlich an den Widerspruch zwischen seinem Werk und seinem Leben erinnert und ihn in ihrer Abwehr als „größten Cineasten und menschliche Scheiße“ bezeichnet. Und so wird Peter von Kants Suche nach der „schönen, reinen Liebe“ desillusioniert, während noch einmal das Lied „Jeder tötet, was er liebt“ gespielt wird. Von der Mutter getröstet, allein und verlassen, ist der letzte Blick des Liebeskranken, hinaus ins Freie jenseits der Bühne, trotzdem nicht ohne Hoffnung.

Peter von Kant
Frankreich 2022 - 85 min.
Regie: François Ozon - Drehbuch: François Ozon - Produktion: François Ozon - Bildgestaltung: Manu Dacosse - Montage: Laure Gardette - Musik: Clément Ducol - Verleih: MFA+ - Besetzung: Denis Ménochet, Isabelle Adjani, Hanna Schygulla
Kinostart (D): 22.09.2022

DVD-Starttermin (D): 10.02.2023

IMDB-Link: https://www.imdb.com/title/tt14336174/
Foto: © MFA+