Novizin Benedetta bekommt gleich die frohe Botschaft serviert, als sie ins Kloster eintritt. Die Armut hat gefälligst draußen zu bleiben. Frauen werden geschlagen, Kinder essen vom Boden: Die Umgebung des Klosters von Pescia im Italien des 17. Jahrhundert ist durch starke Gegensätze geprägt. Aber obwohl in der Ordensgemeinschaft der Frauen alles vorhanden ist, wird hier nicht geprotzt. Frau trägt Büßergewand, geht mit einem Gebet schlafen, lernt und arbeitet fleißig. Benedetta, die Lebensfrohe, gewöhnt sich langsam ihr ungestümes Wesen ab. Sie weiß: Was sie tut, ist gut für den Ruf ihrer Familie. Bis, ja, bis die Nonnenschülerin Bartholomea aufschlägt…
Paul Verhoeven hat sich, mittlerweile im hohen Alter, mit seinem neuesten Film wieder seinem Lebensthema zugewandt: der Darstellung starker Frauenfiguren in schwierigen Verhältnissen. Kaum ein Film des „Showgirls“- und „Basic Instinct“-Regisseurs kommt ohne die trickreiche, amazonengleiche Heldin aus, die sich durchaus mit unlauteren Methoden gegen die übermächtigen Kräfte des Patriarchats zu wehren weiß.
In „Benedetta“ – basierend auf dem Roman „Immodest Acts“ von Judith C. Brown, die in den Achtzigerjahren die 350 Jahre alten Gerichtsakten von Benedettas Prozess fand – schlägt die gleichnamige Hauptfigur die katholische Kirche mit ihren eigenen Mitteln. Die durchaus machtbesessene junge Nonne macht sich selbst zum Zeichen Gottes, indem sie sich die Stigmata – die Wunden der Nägel von Jesus von Nazareth am Kreuz – zufügt. Obwohl Äbtissin Felicita (ganz groß: Charlotte Rampling) Zweifel an den Wundergaben Benedettas hat, macht diese beim einfachen Volk schnell Karriere: Von ihrer neuen Berühmtheit als Heilige getragen, kennt sie nur noch wenig Vorsicht und sägt die alte Chefin gleich mal ab.
Mit Bartholomea führt sie eine lesbische Liebesbeziehung. Ein ums andere Mal geraten die beiden Frauen in Gefahr, entdeckt zu werden, zumal sie sich mit der geschassten Äbtissin eine echte Feindin geschaffen haben – die bald dafür sorgt, dass Benedetta vor dem Inquisitionsgericht und Bartholomea klassenjustiziabel im Folterkeller landet.
Die spannende Frage: Werden die beiden aus der Misere herauskommen?, fesselt das Publikum an den Kinostuhl wie der Klerus Benedetta auf den Scheiterhaufen! Nur so viel: Die historische Benedetta, die lebenslang im Knast landete, würde sicher staunen über die Volten, die ihre Filmschwester schlägt. Paul Verhoeven hat einen in jeder Hinsicht ungewöhnlichen Film über die katholische Kirche gedreht. Mit Virginie Efira als Benedetta und Daphné Patakia als Bartholomea steht dem Regie-Altmeister erstklassiges Personal für seine gewohnt leicht überdrehte Auseinandersetzung mit den herrschenden Kräften zur Verfügung.
Fazit: Sehenswert, skandalträchtig, streckenweise verwirrend und mit Sicherheit umstritten!
Diese Kritik erschien zuerst am 27.11.2021 auf: links-bewegt.de