Sam Ali hat von Syrien genug. Denn wegen einer Lappalie ist er ins Visier der Geheimpolizei geraten. Seine Freundin hat sich von ihm abgewendet. Der ohnehin labile junge Mann beschließt, in den benachbarten Libanon zu fliehen. Auch dort geht es ihm nicht besonders gut, wie wir aus dem Film „Der Mann, der seine Haut verkaufte“ der tunesischen Regisseurin Kaouther Ben Hania erfahren, dessen Hauptfigur Sam ist. Eines aber ist klar: Sam liebt die Kunst – und daran nicht zuletzt die üppigen Büfetts, die bei den Vernissagen in den Galerien Beiruts bereitstehen.
Kunst-Agentin Soraya Waldy spricht den essenden Ausstellungsliebhaber eines Tages an, und so lernt er den internationalen Star der Künstler-Szene, Jeffrey Godefroi, kennen. Bald haben die beiden eine schräge Idee: Weil Sam alles dafür tun will, nach Europa zu kommen, bietet ihm Godefroy an, ihm das Schengen-Einreisevisum auf den Rücken zu tätowieren und ihn damit auszustellen. Als Kunstobjekt hätte Sam mehr Freiheiten als ein Mensch, so die Logik. Und Godefroy würde mit der Aktion international Aufsehen erregen. Umsatzbeteiligung geht auch klar. Doch der junge Flüchtling eignet sich nicht gut zum Gegenstand. Stundenlang halbnackt still zu sitzen ist nicht immer seine Sache. So entwickeln sich schwierige Verhältnisse, in denen Sams Bewegungsdrang mit den Mechanismen des europäischen Kunstkapitalismus – Sitzen und Klappe halten – aneinandergerät.
Zwei Sphären knallen aufeinander: die des Kunstmarkts und die von allem anderen, was auf der Welt los ist. Godefroy als intelligenter Visualisierer von Wirklichkeit kommt hier durchaus an seine Grenzen. Und auch seine schlag- und denkfertige Agentin wird auf Herz und Nieren geprüft.
Ein Film über einen Handel Marke Faust – zwischen einem Privilegierten und dem Verdammten, wie Regisseurin Ben Hania sagt: Sam Ali kehrt dem Teufel den Rücken zu, weil er keine andere Wahl hat, und gerät so in die elitäre und überkodierte Sphäre der zeitgenössischen Kunst.
Die Geschichte hat einen realen, wenn auch etwas anders gelagerten Fall zum Vorbild. 2012 besuchte die Regisseurin im Pariser Louvre die Retrospektive des belgischen Künstlers Wim Delvoye. Dort entdeckte sie dessen Werk „Tim“, bei dem der Künstler den Rücken des Schweizers Tim Steiner über mehrere Jahre hinweg tätowierte und ihn so in eine menschliche Leinwand verwandelt hatte. Wie Sam im Film saß Steiner mit freiem Oberkörper auf einem Sessel und präsentierte Delvoyes Skizzen.
Diesen introvertierten Plot mit dem politischen Thema der Menschenrechte zu verknüpfen, ist die Leistung von Ben Hanias Film. Leider oft zu überdreht erzählt, ist der Film dennoch eine sehenswerte Reflexion über die heutigen Zustände.
Diese Kritik erschien zuerst am 28.02.2022 auf: links-bewegt.de