„Mit Mollies und Benzin/Sieht man sie zum Bauzaun zieh’n“ – die Bonner Punk-Band Geistige Verunreinigung setzte in den 80er Jahren einst dem Schwarzen Block, den Autonomen, ein beachtliches akustisches Denkmal. Jetzt kommt der passende Film zum Thema: „Und morgen die ganze Welt“ handelt von der autonomen Antifa zu Beginn der 90er Jahre. Regisseurin Julia von Heinz sammelte ihre Erfahrungen als Schülerin in einschlägigen Gruppen. Die Handlung des Films soll modellhaft stehen für den Kampf zwischen Links und Rechts. Und Luisa – gespielt von Mala Emde, Julia von Heinz‘ auch optisches Alter Ego, ist eindeutig links: Als Schülerin war sie schon in der Flüchtlingshilfe und in der Schülervertretung aktiv, jetzt, als Studentin im ersten Semester Jura, kommt sie über ihre Freundin mit der Antifa-Gruppe im autonomen Zentrum zusammen.
„Batte“, „Alfa“, „Lenor“: Da sind schon die richtigen Kampfnamen am Start! Luisa, das Mädchen aus stinkreichem Hause – die Eltern residieren auf einem richtigen Landsitz und vertreiben sich die Zeit mit Treibjagden – ist schwer beeindruckt. Vor allem von den (Macho-)Allüren vom schönen Alfa.
Aber bildmächtige Liebe gut und schön. Als die Gruppe auf einer Gegendemonstration zu einer Kundgebung einer rechten Partei mit verdächtig hellblauen Wimpeln und Alice-Weidel-Lookalike als Sprecherin mit Kuchen- und Eierwürfen aktiv wird, kommt es zu einer massiven Gewalterfahrung mit einem der Nazi-Schläger, die die Veranstaltung absichern, und die soll Luisa nachhaltig prägen. Fortan rückt sie in die extremeren Gefilde der Gruppe auf, Transpis malen reicht ihr nicht mehr. Sie und ihre Freunde denken über bewaffneten Widerstand nach, kommen zudem durch Zufall an die Adressen extrem Rechter und auch an deren Sprengstoff. Da stellt sich wie von selbst die Frage: „Wie weit ist weit genug im Kampf gegen Rechts?“ (Der Verleih)
Direkt beantworten will von Heinz dies zunächst nicht – und lässt ihre Protagonisten zu Wort kommen. Zum Beispiel die Betreiber des Jugendzentrums, die kein Interesse an Gewaltaktionen haben („Wir demonstrieren friedlich gegen die Arschlöcher“). Die wollen ihre Freiräume sichern. Auf der anderen Seite werden gute Gründe für rabiate Aktionen vorgebracht. So werden die Positionen gegeneinandergestellt, der Film will mehr Debattengrundlage sein als Urteil.
Im Ganzen ist der Film nah dran an der Wirklichkeit. Die Rechten erobern die Straße, sitzen in Parlamenten und verfügen über viele Ressourcen. Ebenso aktuell dann die linken Gegenaktionen, der Kampf gegen Rechts auf vielen Ebenen, nicht zuletzt in Debatten und Medien. Der deutsche Film ist dafür bekannt, aktuelles Geschehen eher selten oder äußerst verspielt in die Kinolandschaft einzupflegen. Von Heinz gibt an, mit ihrem Filmvorhaben immer wieder auf Hindernisse insbesondere bei der Finanzierung gestoßen zu sein; unter anderem mit der Begründung, der Stoff sei „zu aktuell“. Schon deswegen ist dies ein richtiger, wichtiger Film.
Seine Stärken hat er in der Darstellung der Akteure und Szenen, geht gerade zu Beginn noch oft auf Details ein – wann sieht man schon mal das „Antifa-Infoblatt“ im deutschen Kino? Hier schon. Sehr genau beobachtet sie auch die Klassenunterschiede bei den Aktivisten: Wenn es bei Luisa und Alfa brenzlig wird, hauen die Anwälte der wohlhabenden Eltern ihre Schützlinge raus. Bei Lenor, der eher aus der unteren Mittelschicht stammt, ist da keiner.
Allerdings nimmt sich der Film mit fortschreitender Handlung immer weniger Zeit für genaue Beobachtungen. Das Geschehen verflacht mit zunehmender Action, verengt sich auf nur noch wenige Akteure beim Hetzen und Rennen. Das erinnert stark an Filme über die Rote Armee Fraktion oder ähnliche Gruppen, die in der Hektik von Verfolgungsjagden enden. Nicht ganz ungewollt kommt einem diese Parallele vor, auch inhaltlich – nicht zuletzt durch die Figur des Dietmar, eines Veteranen der Revolutionären Zellen, der Luisa und den anderen logistische Unterstützung bietet.
Zudem konzentriert sich die Kamera im zweiten Teil beinahe nur noch auf das Gesicht von Luisa, als freue sich die Regisseurin, ein Ebenbild gefunden zu haben. Der Film beginnt, mehr und mehr konventionellen Regeln des Kinos zu gehorchen, etwa einen Helden oder eine Heldin ausstellen zu müssen. Gesellschaftliche Prozesse, die deutschen Wirklichkeiten, wie immer sie geartet sein mögen, verblassen hier immer mehr.
Bliebe noch der Titel zu klären. „Und morgen die ganze Welt“, was soll er bedeuten? Die Zeile stammt aus einem Lied der Hitlerjugend und beginnt mit „Heute gehört uns Deutschland“. Abgesehen von der zweifelhaften Entscheidung, für einen ganzen Film als Titel Nazi-Jargon zu verwenden, wird hier offensiv die Hufeisentheorie in Stellung gebracht: Linke, Rechte – alles Nazis, und die mittig-bürgerlichen Gesellschaftsanteile sind schön raus. Wer in diesem Film alles Allmachtsphantasien hege, wer sich selbst ermächtige, das habe sie bewusst zwiespältig wirken lassen wollen, sagt die Regisseurin. Nun heißt der Film ja nicht „Kommste heut nicht, kommste morgen“ oder „Atemlos durch die Nacht“. Tendenz zwiespältig halten? Zumindest an dieser Stelle ist ihr das nicht gelungen.
Diese Kritik erschien zuerst am 14.10.2020 auf: Links bewegt
Hier gibt es ein Interview mit Regisseurin Julia von Heinz.