Von Anfang an wird das Publikum kopfüber in verschiedene (physikalische wie soziale) Mikrokosmen gestürzt (schwarzer Opal, diamond district-Milieu…), von denen einige überlappen oder zumindest Anknüpfungspunkte haben (erstaunlich viele zwischen afroamerikanischer und jüdisch-amerikanischer Kultur), manchmal nur auf visueller Ebene (wenn die Innenansicht des Diamanten in die Innenansicht eines Gedärms übergeht), bis wir am Ende dann mit dem Blick in den Kosmos was genau gesagt bekommen?
Die totale unmittelbare Immersion will sich allerdings nicht einstellen, dafür ist die Hauptfigur zu unsympathisch, auch zu eigen, als dass sich dieser Howard Ratner wirklich als Identifikationsfigur anböte. Dabei ist er weniger ein – dem Titel zufolge – Rohdiamant, als vielmehr eines der Lichtreflexe, das zwischen den Brechungen im Edelstein, im Leben und vor allem in seiner Persönlichkeit hin- und heroszilliert. Irrlichternd, getrieben, fiebrig – diese Adjektive beschreiben auch die Performance Adam Sandlers, der hier mitnichten seine beste Rolle, seine beste Leistung oder gar seinen besten Film abliefert, aber zumindest seine Persona am weitesten ins Zwielicht, in Abgründe, in eben diese Brechungen hineintreibt – so dumm oder nervig oder auch mal nihilistisch („Funny People“) seine Charaktere bisher waren, hatten sie dann doch genug Herz, um aus ihm einen everymentsh zu machen. Vollkommen herzlos ist er natürlich auch hier nicht – so scheint er seine Kinder ja doch zu lieben –, zumal er eher von Selbsthass getrieben wird als alles andere – aber für die richtige Dosis Mentshlekhkeyt fehlt dann doch etwas.
Die entsprechenden Parallelrollen sind (für viele vielleicht seltsamerweise) in „Click“ und „The Week of“ zu finden, wobei gerade letzterer den Stress, die Eskalationskomik, die teilnehmend-beobachtende Kameraführung und den dazugehörigen Schnitt viel besser im Griff hat. Aber die Probleme von „Uncut Gems“ liegen weder in der Performance noch der Inszenierung, sondern im Drehbuch.
Da ist zu viel in medias res und zu wenig Kontext – tatsächlich ist da einfach zu viel. Howard passiert so viel, und er reagiert jedes Mal schlecht, dass das Ganze irgendwann überkonstruiert wirkt. Die Familienszenen hätten mehr ausgebaut werden können, sodass die Dynamik zwischen seiner Frau und ihm etwas mehr emotionale Wucht bekommt. Und irgendwie wird nie so ganz klar, ob er denn wenigstens wirklich was von seinem Beruf versteht, das soll einfach nur so als gegeben hingenommen werden – aufgrund seines augenscheinlichen materiellen Wohlstands –, hätte aber vielleicht auch mal etwas mehr gebraucht als sein Verkaufsgespräch für den schwarzen Opal.
Das große Vorbild Martin Scorsese (auch Produzent) schaffte es in seinen besten Sequenzen auch in einen Mikrokosmos hineinzustürzen und das Ganze sowohl quasi zu dokumentieren als auch in einen audiovisuellen Rausch zu verwandeln. Die Safdies schaffen leider nur den Rausch.
Dabei hat der Film viele richtige Voraussetzungen für die potentielle Quasi-Dokumentation. Die physische Realität im Bild ist fast greifbar: Location/Produktionsdesign und Kostüme/Maske sind vom Feinsten. Und wenn man sich die credits auf der IMDB anschaut, sieht man da Namen, die schon vorher mit den Safdies gearbeitet haben, Locationscouts, die ausgewiesene New-York-Kenner zu sein scheinen (mit „Criminal Intent“ im Portfolio) und das Gebiss, die Frisur, die Kleidung, der Schmuck, die Brillen, die Adam Sandlers Look ausmachen und ihn schon vom Äußeren charakterisieren, sind wohl in engster Zusammenarbeit zwischen den Regie-Brüdern, Sandler und einer langjährigen Mitarbeiterin seinerseits entstanden. Als Adam Sandlers Make-up-Künstlerin und Hairstylistin ist Ana Pala-Williams angegeben, die wiederum schon an „Airheads“ und „Bulletproof“ mitgewirkt hat, insgesamt eher unwichtige frühe Filme in Sandlers Werk, aber abgesehen von „Billy Madison“ hat sie anscheinend an allen seinen Filmen mitgewirkt. Und wenn man sich näher mit Sandler beschäftigt, dann fällt einem auf, wie wichtig eben seine Frisur und andere Äußerlichkeiten für seine Rollen sind: Er verwandelt sich zwar nie mehr oder weniger vollständig wie Eddie Murphy, aber diese relativ kleinen Änderungen bestätigen ja nur, dass er immer neue Facetten einer Persona spielt. Dieses Mal einen Spielsüchtigen, der sich immer weiter bis in die Ausweglosigkeit in der Unterwelt verstrickt und verheddert.
Die eingangs erwähnten kosmischen Verweise zeigen, dass den Safdies aber mehr vorschwebt als das Portrait eines Suchtmenschen, dessen innere Getriebenheit in der äußeren Form des Films ihren Ausdruck findet und somit versucht, dieses Erleben auf den Zuschauer zu übertragen. Das handwerkliche Können haben sie. Und Sandler hat wirklich alles gegeben, wofür er auch zu Recht gefeiert wurde. Allein es fehlt der Kakophonie und –skopie die eindeutig angestrebte Substanz.