Hitler

Kein hoheitsvoller Diktatorenpomp
von Sven Jachmann

1970 erschien die Hitler-Biografie des Mangaka Shigeru Mizuki (1922-2015) zunächst als Vorabdruck in dem japanischen Magazin „Manga Sande“, dann 1971 als Buch. Hätte sie damals auch ein deutscher Verlag veröffentlicht, hätte das einen Skandal ausgelöst.

Nennenswerte Auftritte im Comic hatte Hitler zuvor einzig in den Vierzigern als variantenreicher Superhelden-Antagonist, doch war dies bloß die propagandistische Fortsetzung des Krieges auf der popkulturellen Bühne – in Deutschland erschien nichts davon. Die unvermeidliche Darf-ein-Comic-das-Frage richteten die hiesigen Medien erstmals 1989 ausgerechnet an Art Spiegelman, als der erste „Maus“-Band auf Deutsch erschienen ist. Im selben Jahr kamen Friedemann Bedürftig und Dieter Kalenbach mit ihrer zweibändigen „Hitler“-Comicbiografie, einer deutsche Eigenproduktion des Carlsen-Verlags, weitaus glimpflicher davon. Zwar nölte man im Feuilleton ob methodischer Mängel und comicimmanenter – es sind ja nur Bilder, da käst der Kopf – Komplexitätsreduktionen, die Fortschreibung der NS-Mythologie mittels abgezeichneter Propagandabilder aus den Archiven, in die ein fotorealistischer, in Gedankenblasen seine origin story protokollierender Hitler maximalcharismatisch plaziert ist, störte aber weniger. Ein Paradebeispiel unaufgeklärter Aufklärung – pathetische Hitler-Bildnisse, die posthum immerzu katzbuckelnd raunen: „Ja, mein Führer, selbstverständlich, mein Führer.“

Mizukis Comic-Führer mit seinem fast immerzu narzisstisch von sich selbst berauschten LSD-Blick würde niemals ins Fahrwasser solch hoheitsvollen Diktatorenpomps geraten. Seine minimalistische, karikaturesk stilisierte Gröfaz-Variation bewegt sich zwar ebenfalls vor detailliert erfassten, zugleich grob gerasterten Hintergründen und Kulissen – ein Markenzeichen Mizukis -, läuft aber keineswegs Gefahr, aus Naivität die Bildpolitik des NS-Regimes ins Heute zu verlängern. Der Kontrast zwischen Hitlers durchaus bizarr verfremdetem Konterfei und den monströsen Taten der Deutschen ist der entmystifizierende Hebel, mit dem Mizuki seinen Zugriff auf Geschichte ans Comicmedium selbst koppelt – mit der Folge, dass wir nie versucht sind, der Illusion einer finalen Biografie zu erliegen.

In Kalenbachs und Bedürftigs Wahl der Mittel ist es unumgänglich, dass wir ganz und gar zu Hitler werden (im deutschen Comic hatte der „Untergang“ also schon 15 Jahre früher seinen Einsatz). Mizukis Hitler dagegen lockt nicht, „denkt“ nicht, er spricht, und die 17 Kapitel bewahren eine dokumentarische Beobachterposition – aber nie ganz und gar: Wenn der Autor Hitler als einzige Figur mit comichaften Zügen im Kreise der realistisch gezeichneten Parteigenossen und Sympathisanten plaziert und durch diese gegensätzlichen Stile also ohne Unterlass akzentuiert, dann, um ihn auf Distanz zu halten. Die Empathie bleibt chancenlos, die Hand des Zeichners allgegenwärtig, das strukturiert die Wahrnehmung.

Seite aus „Hitler“ (Reprodukt)

Die Opfer indes sind bloß zu Beginn und am Ende auf wenigen Seiten zu sehen, es sind Bilder von KZ-Häftlingen, Leichenbergen und versteckten Resistance-Kämpfern, die in Paris die Gestapo jagt; diese Bilder sind die erzählerische Klammer, die unmittelbare Erinnerung daran, wohin der Weg jener Comicfigur, die uns auf dem ersten Bild hasserfüllt in der Hitlergrußpose anblickt, geführt hat. Der Plot verlässt nie die Perspektive des innersten Täterkreises und zeichnet Hitlers Weg vom Maler-Loser aus Wien bis zum Bunkersuizid nach.

Der Antisemitismus taucht als konstantes Element in Adolfs psychotischen Wutausbrüchen auf, allerdings nicht als ideologischer Kitt, der die Deutschen nicht nur bis zur Shoah verband. Man sollte nicht vergessen: Muzaki war als Laie auf dem Forschungsstand der Siebziger (welche Irrtümer und Fehler ihm unterliefen, zeichnet Jens Balzer im Vorwort kundig nach), noch dazu in einem Täterland, in dem die „Vergangenheitsbewältigung“ ähnlich wie in Deutschland ablief: Schuldabwehr, Geschichtsrevisionismus und Täter/Opfer-Relativierungen bildeten auch in Japan bis weit in die Siebziger den Kern der Debatten. Ohnehin liegt Mizukis Fokus weniger auf einer blanken ideengeschichtlichen Rekonstruktion der Entwicklungen denn in der Absicht, nachfolgenden Generationen eine Flaschenpost zu hinterlassen. Trotzdem ist die wutschnaubend ausgearbeitete Rolle des willfährigen, finanziell potenten Bürgertums und der politischen Elite bei der Unterstützung Hitlers und der NSDAP eine lesenswerte Erinnerungsstütze, auch mit Blick auf die alltäglichen Kotaus, die beim gegenwärtigen Rechtsruck zu beobachten sind.

Mizukis Plan ist also aufgegangen. Sein lebenslanger pazifistischer Eifer rührt aus eigenen traumatischen Kriegserlebnissen: 1943, mit 21 Jahren, wurde er zur Armee einberufen. Während der Stationierung auf Neubritannien verlor der Linkshänder 1945 bei einem Luftangriff seinen linken Arm, nur deshalb ist er der einzige Überlebende aus seiner Truppe. „Mein Schicksal wäre ein anderes gewesen. Mein Leben wäre nicht im Krieg ruiniert worden, und ohne Hitler hätte ich immer noch meinen linken Arm. Wie also könnte ich nicht an ihm interessiert sein, und an der Frage, was für ein Mensch er wirklich war?“

Die fürchterlichen Erlebnisse in der kaiserlichen Armee schildert Mizuki in seinem weiteren berühmten Werk, das gleichzeitig mit „Hitler“ unter dem Titel „Auf in den Heldentod!“ bei Reprodukt in deutscher Übersetzung erschienen ist. Rund 50 Jahre später, aber immer noch zur rechten Zeit. Dass mit diesen ersten Veröffentlichungen eines immensen Werks außerdem endlich ein japanischer Künstler zu entdecken ist, der dort so renommiert und populär ist wie in Europa höchstens René Goscinny, darf man ruhig als Bonus-Geschichtslektion verstehen.

Dieser Text erschien zuerst in: KONKRET 06/2019

Shigeru Mizuki (Autor und Zeichner): „Hitler“.
Aus dem Japanischen von Jens Ossa. Reprodukt, Berlin 2019. 288 Seiten. 18 Euro

Shigeru Mizuki (Autor und Zeichner): „Auf in den Heldentod!“.
Aus dem Japanischen von Jens Ossa. Reprodukt, Berlin 2019. 384 Seiten. 20 Euro

Foto: © Reprodukt