Vier verschiedene Perspektiven sollen die Wahrheit ans Licht bringen über die ebenso lustvollen wie schrecklichen Ereignisse jenes Sommers, „als wir unsere Röcke hoben und die Welt gegen die Wand fuhr“. Der irreführende deutsche Untertitel zu René Ellers Debütfilm „Wir“ lenkt diesbezüglich aber eher ab. Was die jugendlichen Protagonisten Simon, Ruth, Liesl und Thomas in vier Kapiteln nacheinander vor Gericht oder in Telefonaten mit ihren Müttern erzählen, folgt in seinem Informationsfluss einer Dramaturgie zunehmender Klarheit und Verdichtung. Immer wieder setzt die Handlung mit jenem 10. Juni ein, als die achtköpfige Clique im Überschwang eines euphorischen Sommergefühls sich aufmacht, „die Welt zu entdecken“ und dabei Grenzen überschreitet. „Die Hormone schossen uns aus den Ohren“, heißt es einmal über den unwiderstehlichen Drang, „sich auszuleben“ und dabei jegliches Maß zu verlieren.
Was mit harmlosen Vergnügungen, frivolen Streichen und gewagten Sexspielchen beginnt, kulminiert schließlich in sexueller Ausbeutung und roher Gewalt. Dabei irritiert eine gewisse Unbekümmertheit und der Mangel an moralischen Skrupeln, der nur zum Teil dem Alter der Jugendlichen geschuldet ist. Dem niederländischen Regisseur René Eller, der für seinen in Rückblenden erzählten Film einen skandalumwitterten Roman des flämischen Autors Elvis Peeters adaptiert hat, geht es nicht um eine Analyse oder Erklärung der Taten. Trotzdem zeigt er in Ansätzen eine soziale Einbettung des gruppendynamischen Geschehens. So führt bereits der eröffnende Vogelflug der Kamera in die lichtdurchflutete, geordnete Wohlstandswelt des kleinen belgischen Grenzorts Wachtebeke, aus der die Jugendlichen ausbrechen möchten. Dabei spielt auch die Rebellion gegen eine restriktive Erziehung und bevormundende Eltern eine Rolle. Doch bei aller Lust an der Transgression und dem unstillbaren Bedürfnis, das Leben zu intensivieren, können diese im Grunde „normalen“ Bedingungen den Prozess der Verrohung nur zum Teil plausibel machen.
Während für Simon (Tijmen Govaerts) alles mit einer starken Verliebtheit beginnt, ist es für Ruth (Maxime Jacobs) eine übergroße Eifersucht. Wenn sie sich schließlich zusammen mit ihren Freundinnen entschließt, Pornos zu drehen und sich zu prostituieren, geht es nur vordergründig ums Geld. Stärker ist ihr Wunsch, sich überlegen und mächtig zu fühlen. Auch Liesl (Pauline Casteleyn) strebt nach Höherem, wenn sie die Realität zur Kunst erhebt, das „Leben als Reality Show“ begreift und damit die „abscheulichen Taten“ zu künstlerischen Aktionen veredelt. Sie suche nach Größe, Wichtigkeit und Tiefe. Jugendlicher Narzissmus und mediale Abstumpfung gehen hier Hand in Hand. In der Figur des Anführers Thomas (Aime Claeys), der in seiner reichen Familie als Außenseiter und Verlierer gilt, wird dieses Motiv der übersteigerten Selbstgeltung als eines Willens zur Macht schließlich zugespitzt. In der ebenso geschmeidigen wie sadistischen Weltaneignung durch diesen jungen Mann ist die Wahrheit eine Lüge. Ellers kursorische, mehr atmosphärische Erzählweise unternimmt deshalb nur wenig, um Verständnislücken zu füllen oder das Ungeheuerliche abzumildern.