Man hat Bertolt Brecht pathologisiert und entpolitisiert (zuletzt Biograf Stephen Parker), sein Theater auf einen „gesungenen Linksparteitag“ reduziert (Jürgen Kiontke über Joachim A. Langs „Mackie Messer“) oder auf eine gestörte Mutter-Kind-Beziehung zurückgeführt (Jutta Brückner in ihrem Film „Liebe, Revolution und andere gefährliche Sachen“). Da steigt die Spannung schier ins Unermessliche, wenn sich nun Heinrich Breloer öffentlich-rechtlich an „unserem Klassiker“ austoben darf. Endlich mal einer, der „der Welt zeigt, wie sie ist“, der die Widersprüche aushält (Brecht war ein Womanizer, aber auch ein Schuft, er war klug, aber auch Kommunist) und mit dem „Mittel der Brechung Brecht auf Brecht“ anwendet, wie Volker Herres, Programmdirektor des Ersten, zu versichern bemüht ist. Ist denn nicht schon die Form von Breloers berühmt-berüchtigtem Dokudrama („Das Todesspiel“) „sozusagen episches Theater im Medium des Fernsehens“ (Herres)?
Mit diesem Brechmittel nähert sich das auf der Berlinale welturaufgeführte Primetime-Schmierentheater (22. März, 20.15 Uhr, auf Arte; 27. März, 20.15 Uhr im Ersten; ab 25. März auf DVD) ihrem Sujet in zwei 90-Minütern. Teil eins handelt von dem Bertolt und der Bi, der Marianne, der Helli und der Bess, Teil zwei von dem Bertolt und der Helli, der Isi, der Käthe, der Ruth, der Regine und der SED. Sie sehen, hier „wird Komplexität gezeigt“ (Herres).
Der junge Charmeur, der den Damen mit dauerndem Bänkelgesang zur Klampfe zusetzt (Tom Schilling hat Brecht mit Biermann verwechselt), bringt romantisch Glotzende mit seiner unverschämten Art („Ich bin das letzte deutsche Genie“) zum Schmunzeln. Und wenn die Helli dem Alten (Breloer über Burghart Klaußner: „Ihm glaubt man einfach, dass er Mutter Courage geschrieben hat“) die Nachricht überbringt, er bekomme in der DDR ein eigenes Theater, strahlt Adele Neuhauser wie Gaby Dohm in der „Schwarzwaldklinik“. Den dergestalt gebrochenen Brecht kleistert Breloer zur Sicherheit noch mit Gefühslduselmusik zu.
Zwischendurch fragt Heinrich der Schreckliche letzte Überlebende der SEDDiktatur, ob sie Brecht je hätten weinen gesehen und ob er denn gar keine Demokratie gewollt hätte (zweimal nein). Er war eben auch „ein Menschenfresser“ (WDR-Redakteurin Barbara Buhl). Doch im „Roman“ zum Film (Kiepenheuer & Witsch) zerrt Brechtloer den bislang geheimen inneren Monolog des „Künstlers in der Diktatur“ ans Licht: „Diese Mischung aus Angst und Größenwahn, die sich ganz oben in Regierung und Parteispitze ausbreitet, wo er es mit Menschen wie diesem unsäglichen Bürokraten Ulbricht und diesem bornierten Honecker zu tun hat.“ Zum Glück rettet die Helli am Ende den Nachlass „vor dem Zugriff der SED. So hilft sie Brecht, ein Klassiker zu werden.“ Brecht hätte gebrochen.
Dieser Text erschien zuerst in: KONKRET 03/2019