Die im Zeitraffer über Los Angeles aufgehende Sonne taucht die Stadt in ein Rot, das gleichermaßen irreal, infernalisch und wunderschön ist. Es ist, so verkündet eine Einblendung über den Bildern, mit militärischer Präzision: „Dec. 20 1410 Hrs.“ Es ist das Jahr 1985. Es ist Neoliberalismus. Möchte man sich der Ästhetik von William Friedkins „To Live and Die in L.A.“ nähern, reicht es eigentlich, auf zwei Szenen am Anfang des Films hinzuweisen. Die erste ist die Einblendung des Titels: zu den Bildern von einem Schrottplatz im Hintergrund, in riesigen Lippenstift-knallroten und giftig neongrünen Lettern zuerst: „To Live“, dann: „To die“, dann: „in L.A.“, dann: „To Live and Die in L.A.“. Links neben dem Titel: eine gezeichnete Palme. Leben und Sterben auf einem Schrottplatz namens Los Angeles, auf dem Palmen wachsen, die genauso unecht sind wie die Engel. Was bleibt, ist unnützes Blech, wo einst Autos waren.
Wenig später dann die Einführung des Schurken, er wird von Willem Dafoe gespielt, ist Geldfälscher, heißt Eric Masters und ist ein Meister seiner Kunst. Die Bilder, die er malt, betrachtet er kritisch mit starrem Blick und ohne die kleinste Regung auf seinen Lippen, die von so androgynem Rosa sind, wie ich es außer beim jungen Dafoe noch nie bei einem Menschen gesehen habe. Dann zündet er sie an. Die Druckplatten für das Geld versieht er mit unterschiedlichen Seriennummern, die er mit dem Skalpell mit Schnitten ausschneidet, die so präzise sind wie die der Montagesequenz, in der Friedkin das zeigt. Um die Erzeugung irgendwelcher Werte – und seien sie noch so fiktiv – geht es hier längst nicht mehr. Nur noch um die Schönheit und Präzision des Erzeugens, die auf eine Perfektion abzielen, die es im Leben nicht gibt, aber in der Kunst. Davon legen die ersten fünfzehn Minuten des Films Zeugnis ab. Die Ästhetik des Films ist eine, für die jede nur erdenkliche Form des Realismus, mehr noch: alle Authentizität von vornherein reine Ideologie ist. Zuvor, noch im Vorspann, gab es eine andere Montagesequenz von Geldscheinen, die an Straßenecken von Hand zu Hand gehen. Die Zirkulation von bedrucktem Papier ist echt, dadurch dass ein Filmstreifen durch einen Projektor läuft oder sich eine Disc in einem Laufwerk dreht, flimmern 24 Bilder pro Sekunde über eine Leinwand oder einen Bildschirm. Alle Echtheit, die darüber hinausgehen würde, ist reine Verhandlungssache.
Bevor wir kurz zur Handlung kommen, noch ein paar Worte zur Kameraarbeit des vor einigen Monaten verstorbenen Robby Müller. Leider ist er mir nicht so nahe wie einige seiner Kollegen, was schlicht daran liegt, dass er viel für den frühen Wenders arbeitete, der mich nicht interessiert. Dennoch zeigen die beiden von ihm fotografierten Filme, die ich kürzlich gesehen habe – neben diesem hier noch „Ghost Dog- The Way of the Samurai“ (Jim Jarmusch, 1999) –, dass er zweifellos ein Meister seines Faches war. Alleine wie er es hier versteht, das Sonnenlicht zu verschiedenen Tageszeiten einzufangen, aber auch das Neonlicht bei Nacht ist atemberaubend.
Es ist eine gute Frage, die sich nicht ganz einfach beantworten lässt, ob das Archetypische im Hinblick auf das Verhältnis des Films zum Genre in dieser Form bereits 1985 bestand, oder aber, ob es damals noch neu war. Jedenfalls ist „To Live and Die in L.A.“ ein Film, in dem ein älterer Cop, Jim Hart (Michael Greene), zu Beginn nach einem nervenaufreibenden Einsatz auf einem Dach zu seinem jüngeren Partner Richard Chance (William Petersen) sagt: „I‘m getting too old for this shit.“ Wenn Hart wenig später von Masters erschossen wird, wird dazu ein weiterer markiger Oneliner kredenzt: „You were at the wrong time at the wrong place, pal.“ Was aus dieser Prämisse folgt, ist die bedingungslose Suche von Richard, a guy who definitely takes chances, nach Rache für den Tod seines Partners, bei der er sehr schnell keinerlei Grenzen mehr kennt, sich weder an irgendwelche Gesetze hält, noch sich durch jegliche moralische Erwägung daran hindern lässt, sein einziges Ziel zu erreichen. Vielleicht war die Figur von Hart, der nicht nur zu alt, sondern auch zu „weich“ für den Scheiß dieser Welt wurde, aber auch die Partnerschaft zu Chance etwas, das diese Welt noch halbwegs transzendieren konnte. Nach seinem Tod bleiben dann nur noch gefühlskalte Männer mit Riesenegos, die in ihren Obsessionen mörderisch frei drehen. Wer sich nach irgendwelchen positiven Identifikationsangeboten sehnt, ist hier definitiv im falschen Film.
Will man die Radikalität von „To Live and Die in L.A.” in dieser Hinsicht herausarbeiten, bietet es sich vielleicht an, ihn mit zwei anderen Filmen zu vergleichen, zwischen denen er zufällig zeitlich genau steht. Vierzehn Jahre zuvor drehte Friedkin mit „The French Connection” einen anderen großen Polizeifilm, der klug genug war, um die Gespaltenheit und Doppelmoral seiner Hauptfigur Popeye Doyle (Gene Hackman) zu erkennen, einem rassistischen Alkoholiker, der all seine Lebensenergie in eine absurden Krieg gegen die Drogen investierte. Und doch ist es essenziell für diese Figur, dass sie immer noch meinte, das Richtige zu tun, so unsinnig diese Selbstwahrnehmung für Film und Publikum auch offensichtlich sein mag. Für die Figuren von “To Live and Die in L.A.” hingegen ist alles, was nicht reine Privat-Obsession ist, genauso uninteressant wie jeder Versuch, das eigene Tun irgendwie zu rechtfertigen – und sei es auch nur vor sich selbst.
Vierzehn Jahre später drehte Paul Thomas Anderson mit „Magnolia” einen anderen großen L.A.-Film, der von einer vollkommen amoralischen Welt erzählt, in der die Entfremdung der Menschen von sich selbst und einander kaum größer sein könnte. So sehr ich den Film auch liebe, stößt es mir doch etwas unangenehm auf, dass es ihm dabei offensichtlich um eine Moral ex negativo geht, die uns beständig sagt, dass es nicht gut und richtig sein kann, dass Menschen so leben (müssen). Und ein Regisseur, der schließlich mit alttestamentarischer Wucht Frösche in einem Platzregen vom Himmel fallen lässt, wodurch wohl nicht alle der vielen Figuren, aber doch die verschiedenen Handlungsstränge kurzzeitig zusammenfinden können, passt da selbstverständlich gut ins Bild. Ganz anders Friedkin hier, der seinem Publikum zu sagen scheint: “Findet euch mit dem Zynismus dieser Welt und dieser Figuren ab – oder lasst es bleiben. Gebt euch ihnen hin oder eben nicht. Aber eine distanzierte Position, aus der ein moralisches Urteil über das Gezeigte möglich wäre, gibt es hier weder für mich noch für euch.”
Am Ende dann: der zweite Showdown nach dem ersten nach einer Verfolgungsjagd, wie sie nur Friedkin inszenieren und nur Müller fotografieren können – gegen den Verkehr über den Freeway. Privat-Obsessionen als Störung der Zirkulation. Schließlich allerlei böse plot twists und das langsame Sterben mit glänzenden Augen im infernalischen Feuer. Es ist 1985. Es ist Neoliberalismus. Wenn im Los Angeles des Films jemals good guys, good cops, good people gelebt haben, sind sie wahrscheinlich schon in den Siebzigern ausgestorben. Die Zirkulation geht weiter. Die Hoffnung wohnt hier nicht mehr. Was bleibt, ist die Schönheit der Bilder. Immerhin.
Nachdem der Film zuvor nur auf einer schmucklosen DVD in Deutschland erhältlich war, gibt es ihn nun seit letztem Herbst im Mediabook von Capelight mit sehr umfangreichem Bonusmaterial. Zeitgleich erschien eine Single-DVD-Version.