Heutzutage könne Tanz nicht mehr „schön und fröhlich“ sein, sagt Viva Blanc (Tilda Swinton). In dieser Äußerung findet Adornos Diktum über die Unmöglichkeit von Kunst nach den Verbrechen von Auschwitz einen entfernten Widerhall. Im Herbst des Jahres 1977 leitet die charismatische Choreographin die berühmte Helena Markos-Compagnie in West-Berlin. Gegenüber dem Eingang des international renommierten Tanz-Internats steht die Mauer, die geschichtlichen Schatten der Vergangenheit sind allgegenwärtig, nicht zuletzt im RAF-Terrorismus, der gerade seinen traurigen Höhepunkt erreicht. Die geteilte Stadt mit ihrem Inseldasein ist aber auch ein Refugium des alternativen Lebens und ein geheimnisvoller Ort des Bösen und seiner dunklen Machenschaften. Die mysteriöse Tanzschule wiederum bildet das Zentrum manipulativer Kräfte, schrecklicher Mächte und einer tödlichen Kunst.
Das war teilweise schon in Dario Argentos extrem stilisiertem, sich lustvoll Farbräuschen und kalkulierten Gewaltexzessen ergebendem Film „Suspiria“ aus eben dem Jahre 1977 so. Luca Guadagninos gleichnamiges Remake über eine amerikanische Tanzschülerin, die sich in einer fremden Kultur und Geschichte in den Fängen eines zerstörerischen Hexenrings wiederfindet, übernimmt zwar die Initiationsthematik des Originals und seine implizite Entwicklungsgeschichte; neben der stärker gewichteten Abnabelung von der Mutter, die hier gleich mehrfach personifiziert wird, akzentuiert Guadagnino aber vor allem die Geschichte des Psychoanalytikers Josef Klemperer (Tilda Swinton unter dem Pseudonym Lutz Ebersdorf), der mit seinen Nachforschungen dem mörderischen Treiben der Hexen auf die Spur kommt. Dabei wird er mit seinen eigenen Traumata, mit Schuld und Scham, konfrontiert. Denn seine geliebte Frau wurde während des Krieges in ein Konzentrationslager verschleppt und getötet.
In Luca Guadagninos vieldeutig schillerndem Film „Suspiria“ ist die dunkle Vergangenheit längst nicht vergangen und die Pflicht zur Erinnerung daran ein grausamer, kaum heilsamer Schock. Mit abgründigen, verstörenden Parallelmontagen zelebriert er die Kunst der magischen Übertragung. Susie Bannion (Dakota Johnson), die die Hauptrolle in dem 1948 uraufgeführten Stück „Volk“ übernehmen soll, gewinnt ihre Stärke sehr brutal aus dem Schmerz einer anderen. Nach den Intentionen der Madame Blanc geht es darin um „Wiedergeburt“. Aber vielleicht verbirgt sich hinter ihrer gefräßigen Kunst nur ein krimineller Wahn, wie Klemperer vermutet.
Guadagnino vermittelt die unheimliche Atmosphäre dieser Unbestimmtheit vor allem durch die Inszenierung des Raums, seiner gestaffelten Tiefe und durch die subjektiven, schweifenden Blicke, die weder Halt noch Zentrum bieten, die Orientierung irritieren und die Perspektive des Unsichtbaren aufrufen. Aber nicht nur die Klaustrophobie des Originals wird hier durch mehrfache „Öffnungen“ zu den Figuren hin, durch Choreographien und Zeitgeschichte gebrochen. Der auf 35-mm gedrehte Film, der in sechs Akte und einen Epilog gegliedert ist, präferiert im Gegensatz zu seinem Vorbild eine graue, matte Farbigkeit und verleiht dem blutigen Horror so eine fast schon „realistische“ Note. Die Musik des Radiohead-Sängers Thom Yorke unterstreicht kongenial dieses Oszillieren zwischen magischer Welt und realem Schrecken.