Das Interesse der Kunst an Leid und Verfall ist uralt. Man kann es in Vergils „Aeneis“ ebenso ablesen wie in Dantes „Divina Commedia“: beide Texte tauchen in von Triers jüngstem Film auf und Bruno Ganz trägt hier nicht zufällig den an Vergil gemahnenden Figurennamen Verge. Die Reflexion dieses Interesses beginnt hingegen wesentlich später: Rosenkranz lieferte Mitte des 19. Jahrhunderts eine „Ästhetik des Häßlichen“ ab, Brittnacher vor einem Vierteljahrhundert seine „Ästhetik des Horrors“ und Peter-André Alt vor einer knappen Dekade die „Ästhetik des Bösen“. Nun hat sich von Trier der Gewalt und der Qual angenommen und ist dabei seinem Trend, von „Antichrist“ (D/DK/F/I/PL/S 2009) bis „Nymph()maniac“ (B/D/DK/F/GB 2013) immer selbstreflexivere Filme zu drehen, treu geblieben: so ist „The House That Jack Built“ nicht bloß ein Film über die Taten eines Serienkillers, sondern auch ein Film über die Beziehung der Kunst zum Bösen.
Dabei verläuft der Streifen trotz seines Titels, der auf den gleichnamigen Kinderreim verweist, überraschend geradlinig und bleibt stets ganz dicht an der Hauptfigur, die während ihrer Höllenfahrt in fünf Kapiteln den eigenen Werdegang aus 12 Jahren rekapituliert und vor ihrem Führer Verge eigentümliche Ansichten über Kunst und Moral ausbreitet. Die fünf Kapitel seien dabei ganz zufällig ausgewählt – bilden allerdings auf zweifache Weise Fortschritte ab: Zum einen entwickelt sich Jack, der psychopathische Ingenieur, vom peniblen Ordnungszwängler zum immer fahrlässigeren Killer, der in einer unordentlichen Welt – in der die Nachbarn nur manchmal die Polizei rufen und in der die Polizei bisweilen blind zu sein scheint – Karriere macht, ehe sich am Ende dann doch sein Schickal erfüllt. Zum anderen verändert sich in fünf Kapiteln aber auch der Charakter der Taten: Erschlägt Jack – der vielleicht Jack heißt, damit am Ende „Hit the Road Jack!“ erklingen kann oder da seine erste Waffe ein Wagenheber ist – sein erstes Opfer im Film noch im Affekt, so handelt es sich bei seiner nächsten Tat bereits um einen geplanten und mit viel Redekunst ermöglichten Mord. An späterer Stelle steht dann die zivilisiertere (da ritualisierte) Jagd: Eine Frau und ihre jungen Söhne müssen dran glauben und liegen schließlich europäischen Jagdtraditionen gemäß (neben 50 Krähen) hübsch aufgereiht danieder. Es folgt, gleichwohl Sadismus schon zuvor deutlich präsent war, die eindeutig sexualisierte Tortur: Riley Keoughs naivem Dummchen Simple werden die Brüste abgeschnitten, ehe sie ihr Leben lässt. Am Ende dann effizienter, durchorganisierter Massenmord: Fünf Männer sollen durch ein einziges Stahlmantelgeschoss sterben und parallel dazu verklärt Jack unter anderem die Bilder der Shoa zu Ikonen.
Den Mord als Kunst betrachtend übt sich Jack an einer stetigen Verfeinerung seiner Kunst, deren Kernelement die Destruktivität ist: Das Haus, das Jack neben seiner Mordreihe zu bauen gedenkt, reißt er immer wieder ein, sobald das Grundgerüst steht. Die Seele, erklärt der feingeistige Killer, für den Himmel und Hölle ein und dasselbe sind, gehöre zum Himmel, der Körper zur Hölle: Das Schöne und das Schreckliche fallen zusammen. Man kennt das von Bataille und seiner Transgressionstheorie: In Eros und Thanatos lässt sich das Heilige erfahren. Und den Tod steigert von Trier wie Bataille in „Die Erotik“ von der bloßen Tötung über die Jagd bis zum Krieg. Und auch Bataille hat sich über die diesbezügliche Rolle der Kunst geäußert: Anhand der Fotografie eines unter der Lingchi-Folter Sterbenden kommt er auf den ekstatischen Schauder des Betrachters zu sprechen. Und weil „The House That Jack Built“ ein so selbstreflexiver wie narzisstischer Film ist (der fast alle von Triers direkt zitiert), liegt es – angesichts der im Film zur Diskussion gestellten These, dass man in der Kunst ausleben könne, was ansonsten in der Zivilisation nicht möglich sei – nahe, im Film die Herstellung solchen Schauders, ekstatisch und kathartisch zugleich, zu erblicken. Solch ein Schauder stellt sich bei der Betrachtung von „The House That Jack Built“ allerdings kaum ein. Inmitten von Selbstbezügen, Reflexionen und schwarzem Humor entbehren die Grausamkeiten erheblich an Wirkung. Abgeschnittene Brüste und Kükenbeine, zerfetzte Kinderbeine und eingeschlagene Schädel bilden inmitten von groteskem Witz und reflektierender Distanziertheit allenfalls Unappetitlichkeiten, wobei die Einbindung von Archivaufnahmen aus den Konzentrationslagern in diesen skandalheischenden Unterhaltungsfilm weit unappetitlicher anmuten. (Und seit Syberbergs Hitler-Film gab es wohl keine streitbarere Annäherung an die Goethe-Eiche in Buchenwald mehr…)
Unappetitlich mag manchem auch eine vermeintliche Misogynie des Film(emacher)s erscheinen, die in der Abtrennung von Frauenbrüsten gipfelt – zumal die Nummernrevue der Morde mit gekränkter Männlichkeit ihren Anfang nahm. Hier wiederholt „The House That Jack Built“ aber nicht bloß die fragwürdigen Anwandlungen mancher Splatterfilme, die wie „Cannibal Ferox“ (I 1981; Regie: Umberto Lenzi) oder „The Mutilator“ (USA 1984; Regie: Buddy Cooper, John Douglass) mehrfach die weiblichen Sexualmerkmale attackiert haben, sondern auch das Bild des aggressiven weißen Mannes: Serienkiller sind zumeist weiß, männlich und zwischen 35 und 45 Jahre alt, konnte man einst in „Copycat“ (USA 1995; Regie: Jon Amiel) vernehmen. Jack passt gut ins Bild und tatsächlich sind seine bevorzugten Opfer Frauen oder Kinder. Bloß in seiner effizienten Kriegsszenario-Nummer wählt sich Jack bewusst (fünf) männliche Opfer, wobei ein Asiate und ein Farbiger am meisten Screentime erhalten. Dass Jack über solch ein Bild des schuldigen Mannes und der unschuldigen Frau in Rage gerät, macht aus „The House That Jack Built“ allerdings keinen Film eines reaktionären Maskulinisten; auch ist es trotz der zelebrierten Gewalt an Frauen kein grundsätzlich misogyner Film: Er reproduziert und festigt allerdings das Bild der wehrlosen Frau – was aber schon immer für die allermeisten von Triers galt. Und dass die Frauen hier gelinde gesagt recht naiv anmuten: Nunja, es handelt sich immerhin um die Schilderungen eines Frauenmörders…
Am Ende hat sich der Ingenieur Jack, der seine Opfer zuvor schon für Fotoshootings ausstaffierte, ein Haus aus den Kadavern erbaut – und tritt seine Höllenfahrt an, die (wie schon M. G. Lewis‘ berüchtigte Gothic Novel „The Monk“) mit dem folgenschweren Sturz der schuldig gewordenen Hauptfigur endet. (Wobei diese Höllenfahrt eingangs fast schon als unio mystica à la Tarkovsky inszeniert wird.) In seinem destruktiven Element hat es sich Jack ganz und gar heimisch gemacht – weil eine unaufmerksame, interesselose Umwelt ihn gewähren ließ. Diese Interesselosigkeit lässt ihn auch seine Zwänge ablegen; und im Moment des Mordens erfüllt ihn kurzzeitig wahre Glückseligkeit. Dem Publikum indes bleibt ekstatischer Schauder verwehrt. Zwischen dem selbstreflexiven Überbau und dem zynisch-humorigen Anstrich ist auch für Verstörung kaum Platz. Und weil es auch keine klassische Spannungsdramaturgie gibt, bleiben neben zynischen Gags, die meist sehr penetrant platziert werden, bloß ein paar stimulierende Gedanken zur Gewalt, zur Kunst, zum Himmlischen, die man jedoch zuvor schon anderswo antreffen konnte: bei Georges Bataille, den von Trier zumindest streift; bei William Blake, den von Trier direkt zitiert.
Damit ist „The House That Jack Built“ vermutlich von Triers unergiebigster Film seit Langem. Immerhin fällt der Film wie nahezu alle von Triers formal durchaus beachtlich aus – wenngleich er gerade zum Ende hin mit vielen Zitaten selbstgefällig und etwas prätentiös wirkt. Und mit seinem langatmig-teilnahmslosen Grundton erscheint er letztlich auch irgendwie adäquat angesichts einer Hauptfigur, die in einem leeren, unerfüllten Leben dem nächsten kurzlebigen Kick nacheilt und bloß in dieser Sucht kurzzeitig eine Heimat findet.
Hier findet sich eine weitere Kritik zu „The House That Jack Built“.