Ein früh verstorbener Familienvater wird zu Grabe getragen. Während die Männer des kleinen Dorfes ein Schaf opfern, spenden die Frauen der Witwe Trost. Eine von ihnen sagt: „Das Leben gilt nichts.“ Nachts hält ein Beter mit Laterne auf dem kargen Friedhofshügel die Totenwache, während aus dem fernen Dunkel das Geheul von Wölfen dringt und für Augenblicke eine nackte Frauengestalt das Bild mit einer unheimlichen Aura auflädt. Die grüne Fee mit dem langen Haar stammt aus einer der phantastischen Geschichten, die man sich hier erzählt und in denen sich Wirklichkeit und Legende unaufhörlich mit immer neuen Erfindungen durchdringen, um mit ihnen die Besonderheiten und das Unverständliche des Lebens zu erklären. Die magische Welt der Nacht und die Wirklichkeit des Tages gehören in dieser abgeschiedenen Gemeinschaft zusammen. Am nächsten Morgen schient ein alter Mann das verletzte Bein einer Ziege und Kinder treiben die Herde auf steinige Höhen.
Völlig unaufgeregt und verhalten beobachtet die junge afghanische Filmemacherin Shahrbanoo Sadat in ihrem Langfilmdebüt „Wolf and Sheep“ das Leben von Menschen, die unter nahezu archaischen Bedingungen ihr Dasein fristen. Diese gehören zur Ethnie der Hazara, der drittgrößten Volksgruppe Afghanistans, die immer wieder Anfeindungen ausgesetzt ist. Angesiedelt in einer trockenen, staubigen Talsenke im zentralen Teil des Landes – gedreht wurde allerdings in Tadschikistan -, schildert Sadat in losen Szenen den einfachen Alltag der Dorfgemeinschaft. Inspiriert von eigenen Erfahrungen, geht es der Regisseurin vor allem darum, den offiziellen, meist klischeebeladenen Bildern ihres Landes Ansichten des „wirklichen Lebens“ entgegenzusetzen. Ihr dokumentarischer Realismus, der der ethnographischen Beobachtung angenähert ist, verzichtet deshalb weitgehend auf eine dramatische Handlung und vertraut auf die Unbekümmertheit ihrer Laienspieler.
Trotzdem schält sich aus der Gleichrangigkeit des Erzählten und der Gleichförmigkeit der Ereignisse allmählich die Geschichte zweier jugendlicher Außenseiter: Während Qodrat (Qodratolla Qadiri), der eingangs zum Halbwaisen geworden ist, Gerüchten um das Liebesleben seiner Mutter ausgesetzt ist, wird die gleichaltrige Ziegenhirtin Sediqua (Sediqua Rasuli) von ihren Freundinnen wegen angeblicher sagenumwobener Sonderlichkeiten insgeheim gemieden. Scheu nähern sich die beiden Jugendlichen über das Knüpfen und Spielen mit einer Steinschleuder einander an. Shahrbanoo Sadat bindet das ein in die Kämpfe und obszönen Reden der pubertierenden Jungen und in die schüchternen Rollenspiele der Mädchen. Die Härten eines beschwerlichen, manchmal unbarmherzigen Lebens, das im Tausch und der Entschädigung immer wieder den Ausgleich findet, sind dabei stets gegenwärtig. Einmal klauen die beiden unschuldig Verliebten zusammen Kartoffeln, um sie danach in einem Erdfeuer zu dämpfen. Für einen langen Moment nur wird ein kurzes Glück greifbar, das danach von den Schicksalen des rauen Lebens wieder zerstreut wird.