Der Mann mit der Todeskralle

(USA, HK 1973; Regie: Robert Clouse)

Bruce Lee im Spiegelkabinett der Filmgeschichte

Lei Siu Lung, der Mann, der mit seinem amerikanischen Namen Bruce Lee in die Geschichte des Martial Arts-Films eingehen sollte, war von Anbeginn an ein transnationales Phänomen. Geboren in San Franciscos China Town als Sohn eines chinesischen Schauspielers und einer Deutsch-Chinesin, verbrachte er seine Kindheit im unter japanischer Besatzung stehenden Hongkong. Mit 13 wurde er dem legendären Yip Man, einem Meister des Win Chun Kung Fu vorgestellt. Da der junge Bruce seine Kampfkünste zunächst für eine „Karriere“ als Straßenkämpfer nutzte, wurde er von seinen Eltern mit achtzehn nach San Francisco zurückgeschickt. Die Legende will es, dass er 100 Dollar in der Tasche hatte. Auch wenn Lee seit seinem sechsten Lebensjahr vor Film- und Fernsehkameras stand, waren es nur eine Handvoll Filme, die ihn zu einer Ikone des Kinos und der Kampfkünste gleichermaßen machten. Der letzte von ihnen ist „Enter the Dragon“, 1973 unter der Regie des amerikanischen Genre-Routiniers Robert Clouse enstanden. Lee starb an den Strapazen der Dreharbeiten im Alter von nur 32 Jahren.

Bruce Lee spielt die Filmfigur Lee, die am Anfang den Auftrag bekommt, an einem Kampfsport-Turnier teilzunehmen, das als Vorwand herhalten muss, um einem Mann auf dessen privater Insel nachzuspionieren, der verdächtigt wird, sich seine Millionen mit Heroin und Prostitution zu verdienen. Doch schon hier ist klar, dass er ein Mann mit einer anderen Mission ist: Unbeeindruckt vom mächtigen Auftraggeber trainiert er lieber weiter seinen jungen Schüler, dem er etwas wichtiges mit auf seinen Lebensweg zu geben hat: „We need emotional content. Not anger! Don’t think. Feel! Never take your eyes off your opponent. Even when you bow!“

Kann man dieses Verwirrspiel der Identitäten retrospektiv anders begreifen, als dass sich in dem Schüler der reale Sohn Lees spiegelt, der Schauspieler und Kampfsportler Brandon Lee, der seinem Vater auch darin folgte, dass er 1994 bei den Dreharbeiten zu dem Film „The Crow“ (Alex Proyas) achtundzwanzig-jährig verstarb, getötet mit einer Waffe, in der sich eine echte Kugel, statt einer Platzpatrone befand? Jedenfalls hätte wohl auch die Rolle seines Vaters in dem Biopic „Dragon: The Bruce Lee Story“ (Rob Cohen, USA 1993), die ihm angeboten wurde, aber dann an den nicht mit Bruce verwandten Jason Scott Lee ging, keinen Ausweg aus dem Labyrinth des Scheins ohne Sein geboten.

Auch die Besetzung der Nebenrollen steht ganz im Zeichen eines west-östlichen Genre-Hybrids. Jim Kelly hat im asiatischen Harem der Gangster freie Auswahl. Auf John Saxons Rücken darf eine schöne namenlose Blondine stehen, zu Zwecken der Massage versteht sich. Wer gut aufpasst, kann Jackie Chan als „Thug in prison“ entdecken. Bolo Yeung, der es als Bodybuilder bis zum Mr. Hongkong brachte, und einem westlichen Publikum wohl am ehesten als Endgegner Van Dammes in „Bloodsport“ (Newt Arnold, USA 1988) bekannt ist, darf auch hier kräftig zulangen. Lee hingegen hat mal wieder eigene Pläne – ob mit Frau oder ohne. Bleibt die stählerne Kralle von Boss Han (Kien Shih), der sich unser Spion schließlich zum Zweikampf stellen muss, bei dem sich die Inszenierung zu atemberaubender Frenetik aufschwingt. Dabei gehen viele Spiegel zu Bruch, von denen wir längst nicht mehr wissen, wen sie nun genau zeigen.

Ob in diesem Finale Furioso dann bewusst oder auch nicht der klassische Film Noir nachhallt und namentlich Orson Welles‘ Meisterwerk „The Lady from Shanghai“ (USA, 1947), in dem sich ein vielgereister Mann (Welles) am Ende in ein Dasein des Verzichts und der Entbehrung ohne seine von Rita Hayworth gespielte fatale Muse fügen muss, spielt dann auch keine allzu große Rolle mehr. Denn fest steht: Ein Spiegelkabinett ist ein Spiegelkabinett ist ein Spiegelkabinett.

Benotung des Films :

Nicolai Bühnemann
Der Mann mit der Todeskralle
(Enter The Dragon)
USA, Hongkong 1973 - 102 min.
Regie: Robert Clouse - Drehbuch: Michael Allin - Produktion: Raymond Chow, Paul M. Heller, Fred Weintraub, Leonard Ho, Bruce Lee, Andre Morgan - Bildgestaltung: Gil Hubbs - Montage: Kurt Hirschler, George Watters, Peter Cheung - Musik: Lalo Schifrin - Verleih: Warner - FSK: ab 18 Jahren - Besetzung: Bruce Lee, John Saxon, Jim Kelly, Ahna Capri, Kien Shih, Robert Wall, Angela Mao, Betty Chung, Geoffrey Weeks, Bolo Yeung
Kinostart (D): 25.01.1974

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt0070034/
Foto: © Warner