Prolog: Michael Cimino stellt die Restauration des Films vor
In sich zusammengefallen wirken seine Gesichtszüge. Die Lippen geschwollen, die Augen verdeckt von einer großen, schwarzen Pilotensonnenbrille. Doch auch wenn er wohl als Künstler und als Mensch gebrochen ist, bleibt er doch ein Mann mit einer Mission. Stolz berichtet er, wie er neun Monate lang an einer Restauration von „Heaven’s Gate“ durch das Team der Criterion Collection beteiligt war, involviert in alle Aspekte der Veröffentlichung. Denn Cimino hat etwas, das er der Welt hinterlassen möchte, die er 2016, drei Jahre nach Erscheinen der gewohnt liebevollen Edition des wohl weltweit bedeutendsten alternativen DVD-Labels verließ: die von ihm ursprünglich intendierte Version seines insbesondere im Herkunftsland bis heute oft verkannten Meisterwerks.
1974 legte Cimino, der zuvor nur an zwei Drehbüchern mitgearbeitet hatte sein Regiedebüt mit „Thunderbolt and Lightfoot“ („Die letzten beißen die Hunde“) vor. Clint Eastwood, Produzent und Hauptdarsteller, überließ dem Unbekannten die Regie, weil er beeindruckt war von seiner Überarbeitung des Scripts zum „Dirty Harry“-Sequel „Magnum Force“ (Ted Post, 1973). Ohne diese Unterstützung hätte Cimino, so beteuerte er später, niemals in Hollywood Fuß fassen können. Nach dem Film, der mit Bridges an der Seite Eastwoods, gekonnt Elemente eines Buddy-Road Movies mit denen eines kompromisslosen Heist-Thrillers verbindet, lustig beginnt und tragisch endet, dauerte es vier Jahre bis Cimino ein weiteres, wesentlich größeres und persönlicheres Projekt vorlegen konnte: den epischen Vietnamkriegsfilm „The Deer Hunter“ („Die durch die Hölle gehen“). Wenn am Ende Christopher Walken und Robert De Niro russisches Roulette spielen, ist das eine dieser Cimino-Momente, die nicht mehr vergisst, wer sie einmal gesehen hat. Der Erfolg des Films, der immerhin alleine in den USA das dreifache seiner Produktionskosten von etwa 15 Millionen Dollar einspielte, ermöglichte es Cimino zwei Jahre später „Heaven’s Gate“ zu drehen, bei dem es nun endgültig kein Halten mehr für ihn zu geben schien.
Berüchtigt ist der Film wohl vor allem für seine wahnwitzige Produktionsgeschichte. Das Budget, das ursprünglich bei 11 Millionen Dollar veranschlagt war, belief sich schließlich auf damals absolut astronomische 44 Millionen, was durch die Tatsache, dass sich der Film als Kassengift herausstellte, das Studio United Artists beinahe in den Ruin trieb, vor dem es nur noch die Übernahme durch MGM bewahren konnte. Der Film trieb die Traumfabrik in eine ihrer zyklischen Krisen, aus der sich nur noch durch das wenige Jahre zuvor durch „Jaws“ („Der Weiße Hai“, Steven Spielberg, 1975) begründete Blockbuster-Segment retten konnte. Jedenfalls war es dieser Film, der dem, was seit den späten Sechzigern als New Hollywood firmierte, ein Jahr nach dem Kinostart des ähnlich größenwahnsinnigen Francis Ford Coppola-Projekts „Apocalypse Now“, bei dem sechs Wochen für den Dreh veranschlagt waren, aus denen sechzehn Monate wurden, die das Team sich durch den philippinischen Dschungel schlug, dem Herzen der Finsternis entgegen, das sie schließlich mit fast 200 Stunden abgedrehtem 70mm-Material erreichten, endgültig den Todesstoß verpasste. Auch wenn Coppolas Film letztlich ein finanzieller Erfolg wurde, musste Hollywood sich wieder mal neu erfinden, um die Exzesse zweier Filmemacher zu überstehen, denen ihre Besessenheit für ihre ganz eigene gigantomanische Vision von Kino, offensichtlich die Tuchfühlung zur Realität genommen hatte.
Alles an „Heaven’s Gate“ ist groß. Der Director’s Cut des Films läuft über dreieinhalb Stunden. Der Cast ist beeindruckend, vereint er doch Namen, die schon damals bekannt waren wie Kris Kristofferson, John Hurt, Jeff Bridges oder Christopher Walken mit derzeitigen Nachwuchsschauspielern wie Brad Dourif, Mickey Rourke, aber insbesondere einer jungen, fulminant aufspielenden (und in einer Liebesszene auch splitterfasernackten) Isabelle Huppert. Gedreht ist er in monumentalen Cinemascope-Panoramen wie sie wohl niemand sonst so fotografieren könnte wie Vilmos Zsigmond. Beim Aufbau seiner Geschichte, die angelehnt ist an reale Ereignisse, die sich im Wyoming des Jahres 1890 zutrugen, nimmt sich der Film genau die Zeit, die er braucht, um seine Charaktere und ihre Konflikte einzuführen und sich dann immer weiter zu steigern in einem einzigen Crescendo des Grauens.
Kristofferson spielt James Averill. Die Exposition stellt ihn uns als Harvard-Absolventen vor, einen Mann also, der (zumindest materiell) auf der Gewinnerseite des Lebens geboren wurde. 20 Jahre später ist er der Sheriff von Johnson County, das zum Großteil bewohnt wird von armen europäischen Immigranten, die aus den verschiedensten Ecken der „alten Welt“ hierher kamen auf der Suche nach einem Leben in Wohlstand und Würde. Doch dabei haben sie die Rechnung ohne den örtlichen Viehbaron Major Wolcott (Ronnie Hawkins) gemacht, dessen bestimmter Rat an sie lautet: „Go home!“. Er schreckt vor nichts zurück, was seinen Kapitalinteressen dient – auch nicht davor, unschuldige Menschen ermorden zu lassen. Der örtliche Auftragskiller Nate Champion (Christopher Walken), arbeitet zwar zunächst für die reichen Viehzüchter, erschießt dabei auch einen Mann, der einen Stier getötet hat, um seine Familie ernähren zu können, dabei wird er jedoch mehr und mehr von seinem Gewissen geplagt, bis er sich schließlich ganz mit seinen Auftraggebern überwirft und sich bedingungslos gegen sie stellt. Außerdem hat auch er ein erotisches Interesse an der Prostituierten Ella Watson (Isabelle Huppert), die mit Averill liiert ist. Parallel zu dem Beziehungsdreieck spitzen sich auch die Konflikte zwischen den reichen Farmern und den armen Einwanderern und denen, die sie zu verteidigen trachten, immer weiter zu – bis sie sich schließlich in einer kriegerischen Auseinandersetzung entladen, die zu einer beispiellosen Orgie des Tötens und des Sterbens wird.
Majestätisch, erhaben, unbeeindruckt erscheint dazu die Landschaft in ihrer Weite, mit ihren Tannen, den schneebedeckten Bergmassiven, die nichts wissen von den Schicksalen der Menschen, die zu ihrem Wolf werden. Nichts Wissen von ihrem Scheitern an sich, ihren Ambitionen, der Gesellschaft, die sie sich geschaffen haben oder noch schaffen wollen. Von ihrer Suche nach dem richtigen Leben im Falschen. Von der Sinnlosigkeit ihrer Gewalt. Von den Todeslisten für „Anarchisten und Störenfriede“. Von Vergewaltigungen und gemeuchelten Prostituierten. Von dem Mann, den sich Ella als Ehemann auserkoren hatte und zu dem sie dann schmerzerfüllt herabblickt, wenn sein Körper und sein Gesicht zerrissen sind von Kugeln. Von dem anderen Mann, der abgrundtief böse schien, und der doch, wenn Ella ihm dann im Tumult der Schlacht ins Kinn schießt, einfach nur ein weiterer toter Mensch ist. Von dem Bedürfnis nach Rache (auch) des Publikums, das radikal unbefriedigt bleiben muss, weil mehr Kugeln nicht wieder heilen können, was Kugeln zuvor zerstörten. Von dem Revolverlauf, den sich eine Frau in den Mund schiebt, blutend an das Rad eines Wagens gelehnt, wenn sich der Pulverdampf der letzten Schlacht verzogen hat, die nur noch Verlierer kennt. Von den Projektilen, die schließlich klaffende rote Löcher in ein weißes Hochzeitskleid reißen.
Selig sind die Berge und die Felder und die Wälder, die nicht wissen, wozu Menschen fähig sein können. Auch dann noch, wenn sie sich eigentlich danach sehnen Gutes zu tun, verzweifelt nach Zuneigung und Geborgenheit suchen. Und auch in der Darstellung der Zärtlichkeit, mit der die Verdammten einander kurzfristig Halt geben, in- und beieinander für Augenblicke ein anderes Leben finden, das richtig ist, schön und gut, entwickelt der Film eine Schonungslosigkeit und eine Intensität wie sie im internationalen Affektkino wohl ihresgleichen sucht.
Doch dann ist da der Dampf der Lokomotive, die im Western von jeher für die fortschreitende Zivilisierung, die Nutzbarmachung des Landes für die Zwecke des Menschen stand, in dem Averill auf seinem Pferd verschwindet, von dem er aus dem Bild getilgt zu werden scheint. Ja, mit diesem Film endet etwas. Unwiderruflich.
Epilog: Ciminos Weg nach „Heaven’s Gate“
Erst fünf Jahre später konnte der Regisseur mit dem berühmten italienischen Produzenten Dino De Laurentiis einen Geldgeber für einen weiteren Film finden, den in Hongkong angesiedelten Thriller „Year of the Dragon“, zu dem Cimino das Drehbuch gemeinsam mit Oliver Stone verfasste. Die Hauptrolle übernahm Mickey Rourke, der bereits in einer kleinen Nebenrolle in „Heaven’s Gate“ zu sehen war. Das KritikerInnen-Echo war vernichtend, für die Darstellung chinesischer Amerikaner handelte sich der Regisseur den Vorwurf ein, rassistische Stereotype zu bedienen. Nachdem auch die Folgeprojekte „The Sicilian“ (1987) und „The Desperate Hours“ (1990) kollossale Flops wurden, drehte Cimino nur noch einen weiteren Film, „The Sunchaser“ (1996), der trotz der Nominierung für die Goldene Palme in Cannes nur auf Video veröffentlicht wurde. In der Zeit bis zu seinem Tod am 02.07.2016 schrieb er einen Roman, „Big Jane“ (2001), der mit zwei französischen Literaturpreisen ausgezeichnet wurde. Der einst als „Wunderkind“ gehandelte Regisseur sollte der Welt also nur sieben Filme hinterlassen.
Nachdem es den Film hierzulande bislang nur auf einer gewohnt schmucklosen DVD von MGM gab, veröffentlicht Capelight nun die von Criterion restaurierte Fassung erstmals hierzulande in HD. Zu dem umfangreichen Bonusmaterial des schön gestalteten Mediabooks zählt unter anderem auch ein 24-seitiges Booklet und ein Interview-Featurette mit Jeff Bridges. Eine Single-DVD wird gleichzeitig erscheinen.