Meine glückliche Familie

(D/GE 2017; Regie: Nana Ekvtimishvili, Simon Groß)

Einen Ort für sich selbst

Manana, die Mutter, ist meistens schweigsam, wenn in ihrem Drei-Generationen-Haushalt, wie üblich, mal wieder rege Geschäftigkeit herrscht. Dann geht es immer hin und her, drüber und drunter. Das Durcheinander permanenter Bewegungen und lauter Stimmen ist gewissermaßen der Normalzustand. Unruhe und Stress, mangelnde Privatsphäre und ständige Kollisionen haben die 52-jährige Literatur-Lehrerin müde und leer gemacht. Dominiert beziehungsweise dirigiert wird dieser traditionell strukturierte georgische „Familienkörper“, zu dem noch ein Ehemann, zwei erwachsene Kinder und ein listig beobachtender Großvater gehören, von der stets aufgeregt zeternden Großmutter Lamara. Hier zählt der Zusammenhalt der Gemeinschaft alles; die Bedürfnisse des Einzelnen hingegen fast nichts. „Glücklich ist die Familie, deren Mutter friedfertig ist und die sich für ihre Kinder aufopfert“, säuselt es im Hintergrund feierlich aus dem Radio.

Doch davon hat Manana endgültig genug. An ihrem Geburtstag verkündet sie der völlig perplexen Familie: „Ich will nicht mehr mit euch zusammenwohnen. Ich gehe für immer weg.“ Das marode Domizil für ihr neues Leben hat sie sich bereits in der Exposition von Nana Ekvtimishvilis und Simon Groß‘ tragikomischem Film „Meine glückliche Familie“ angeschaut. Bereits hier wird spürbar, dass deren genauer, teilnehmender Art des Filmemachens eine gewisse Milde innewohnt und dass der Ernst ihres Familien- und Gesellschaftsportraits von einer augenzwinkernden Ironie abgefedert wird. Ebenso nachdenklich wie humorvoll dokumentieren sie Szenen aus dem Alltag einer Großfamilie. Oft in Realzeit gedreht, vermitteln diese ebenso die Dynamik der Beziehungen wie eine Nähe zu den Figuren. Die sommerliche, zwischen Hitze, Wind und Platzregen changierende Atmosphäre der Stadt Tiflis setzt wiederum den Rahmen für deren Emotionen.

Diese entladen sich bei den einzelnen Familienmitgliedern zunächst in Überraschung und Unverständnis. Sie, Manana, sei undankbar und schaffe Probleme „aus dem Nichts“: Sie schade dem Ansehen der Familie, gefährde den Versorgungszusammenhalt und lasse Ehemann und Eltern im Stich. Da die „Abtrünnige“ Erklärungen weitgehend verweigert, ist der eilends einberufene Verwandtschaftsrat einigermaßen ratlos. „Ich wollte schon immer allein leben“, sagt Manana lapidar in die verständnislose Runde. Und sie genießt dieses Alleinsein, so ungewohnt und fast bedrohlich es zunächst aussehen mag, als Eroberung der Unabhängigkeit. In der neu gewonnenen Ruhe kann sie endlich lesen, Musik hören und wieder einmal, von der Gitarre begleitet, singen.

Parallel zur Freiheit wächst ihr Selbstbewusstsein. Ihr Bedürfnis nach einem eigenen Ort reflektiert zugleich die Frage nach der persönlichen Identität und dem richtigen Leben. Dafür überhaupt eine Sprache zu finden und darüber zu sprechen – das zeigen die Begegnungen mit ihrem Mann Soso – ist ebenso schwierig wie notwendig, um sich auf den Weg zu sich selbst begeben zu können.

Meine glückliche Familie
Deutschland, Georgien 2017 - 120 min.
Regie: Nana Ekvtimishvili, Simon Groß - Drehbuch: Nana Ekvtimishvili - Produktion: Jonas Katzenstein, Maximilian Leo - Bildgestaltung: Tudor Vladimir Panduru - Montage: tefan Stabenow - Verleih: Zorro Film - Besetzung: Ia Shugliashvili, Merab Ninidze, Berta Khapava, Tsisia Kumsishvili, Giorgi Khurtsilava
Kinostart (D): 13.07.2017

DVD-Starttermin (D): 08.12.2017

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt5791536/
Foto: © Zorro Film